»Politik des Aushungerns muss endlich beendet werden«
UN-Bericht zeigt verheerende Folgen der Sanktionen gegen Venezuela auf. EU verhängt neue Strafen. Ein Gespräch mit Heike Hänsel
Interview: Frederic Schnatterer
Heike Hänsel ist Bundestagsabgeordnete von Die Linke und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss
Vor kurzem hat die UN-Sonderberichterstatterin Alena Douhan einen Bericht vorgelegt, in dem die verheerenden Folgen der US- und EU-Sanktionen gegen Venezuela für die gesamte venezolanische Bevölkerung aufgezeigt werden. Kamen die Aussagen für Sie überraschend?
Wir als Die Linke sagen schon lange, dass sich die Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela verheerend auf die Bevölkerung auswirken. Dazu gehören auch jene der EU. Sie sind völkerrechtswidrig, das wird im UN-Bericht auch noch einmal explizit festgestellt. Gerade das Einfrieren von venezolanischem Staatsvermögen bei europäischen Banken führt dazu, dass die Regierung in Caracas nicht über die nötigen finanziellen Mittel für dringend benötigte Medikamente, aber auch Lebensmittel verfügt. Hinzu kommen die extraterritorialen Auswirkungen der US-Sanktionen, die zudem verhindern, dass Dritte Handel mit Venezuela treiben.
Selbst rechte Kommentatoren beispielsweise in Springers Welt bezeichneten den UN-Bericht als eine »schallende Ohrfeige für die Venezuela-Politik des Westens«. Wie reagierte die Bundesregierung?
Die ist bis heute treibende Kraft hinter der verantwortungslosen und auf Eskalation setzenden Venezuela-Politik. Man hört von ihr nur lautes Schweigen bezüglich der Auswirkungen der Sanktionen.
Statt Abstand von der Politik der Sanktionen zu nehmen, legte die EU am vergangenen Montag sogar noch nach und verhängte weitere Strafmaßnahmen gegen venezolanische Einzelpersonen …
… eine zynische Antwort auf den UN-Bericht und den eindringlichen Appell der UNO seit Beginn der Pandemie, die Sanktionen gegen Venezuela und viele weitere Länder zu beenden.
Das führte zu der Ausweisung der EU-Botschafterin aus Venezuela am Mittwoch. Was wäre ein Ausweg aus dieser festgefahrenen Situation?
Die EU steht vor einem großen Scherbenhaufen. Ursprünglich hieß es, man wolle mit allen politischen Akteuren in einen Dialog treten, um so zu einer politischen Lösung des Konflikts beizutragen. Es ist absurd, wenn die EU, nachdem jetzt Venezuela auf die Sanktionen reagiert und die EU-Botschafterin ausgewiesen hat, eben das kritisiert. Das steht in eklatantem Widerspruch zum Ziel der EU, Beziehungen zu entwickeln und Partnerschaften aufzubauen. Die Politik der Eskalation fällt auf Brüssel selbst zurück. Eine Neuausrichtung ist überfällig: Weg mit der Regime-Change-Politik, weg mit den völkerrechtswidrigen Sanktionen, weg vom Flankieren der US-Politik, hin zu einer eigenständigen, auf Dialog und politische Lösungen ausgerichteten Venezuela-Politik. Es geht darum, sich an internationales Recht zu halten.
Am Mittwoch haben Sie eine weitere Anfrage an die Bundesregierung hinsichtlich der EU-Sanktionen gestellt.
In der Antwort ignoriert die Bundesregierung absichtlich die Ergebnisse des UN-Berichts. Das ist verantwortungslose Politik. Man will mit immer neuen Sanktionen, die auch die Menschen in Venezuela hart treffen, angeblich zur Verbesserung der Situation der Bevölkerung beitragen? Absurder geht es nicht mehr! Diese Politik des Aushungerns muss endlich beendet werden.
Die Linke ist derzeit die einzige Kraft im Bundestag, die sich gegen diese Sanktionspolitik stellt. Angesichts in den vergangenen Wochen aufgekommener Debatten vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahl, beispielsweise zur friedenspolitischen Ausrichtung der Partei oder der Position zum sozialistischen Kuba: Befürchten Sie, das klare »Nein« zu Sanktionen könnte aufgeweicht werden?
Wir kämpfen dafür, dass diese Position nicht aufgeweicht wird. Die Linke lehnt Wirtschaftssanktionen aus gutem Grund ab. Es wäre sehr bedenklich, wenn sich Die Linke bei dem Thema auf den völkerrechtswidrigen Weg begibt. Wirtschaftssanktionen treffen immer die Bevölkerung. Das sehen wir, egal ob im Iran, in Syrien oder Venezuela. Insofern gehört für uns zu einer friedlichen, auf Dialog basierenden Außenpolitik, dass man sich nicht solcher Instrumente bedient.