Knast für Putschisten
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Boliviens linke Regierung verhaftet für Staatsstreich verantwortliche frühere »Übergangspräsidentin« und Minister. Rechte gibt sich empört
Von Volker Hermsdorf
Die Opfer des Putsches gegen den gewählten Präsidenten Evo Morales vom November 2019 in Bolivien dürfen auf Gerechtigkeit hoffen. Am Sonnabend haben Sicherheitskräfte die damalige Vizepräsidentin des Senats, Jeanine Áñez, verhaftet. Sie hatte sich nach dem Staatsstreich selbst zur »Übergangspräsidentin« ernannt. Die Staatsanwaltschaft erließ Haftbefehle gegen insgesamt zehn Personen, darunter fünf Minister des Putschistenregimes und vier Mitglieder des Oberkommandos der Streitkräfte. Am Freitag waren bereits die ehemaligen Minister Álvaro Coímbra (Justiz) und Rodrigo Guzmán (Energie) festgenommen worden, nach vier Militär- und Polizeikommandeuren wird gefahndet. Der ultrarechte Exinnenminister Arturo Murillo hatte sich schon im November in die USA abgesetzt.
Der ehemaligen Machthaberin Áñez wird unter anderem Anstiftung zum Terrorismus, Verschwörung und Volksverhetzung vorgeworfen. Nachdem sie sich der Festnahme zunächst entzogen hatte, konnte sie in der Provinz Beni gefasst werden. Nach ihrer Verhaftung warf Áñez Staatsanwaltschaft und Regierung des südamerikanischen Landes vor, »zum Stil der Diktatur« zurückzukehren. »Sie beschuldigen mich, an einem Staatsstreich teilgenommen zu haben, der nie stattgefunden hat«, erklärte sie. Carlos Mesa, dessen Oppositionspartei Comunidad Ciudadana bei den mehrfach von den Putschisten verschobenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 18. Oktober 2020 mit 28,8 Prozent auf dem zweiten Platz landete, während der linken »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) mit 55,1 Prozent ein Erdrutschsieg gelungen war, bezeichnete die Festnahmen und Haftbefehle als »juristische Verfolgung aus Rache«. Der rechte Gouverneur des Departamentos Santa Cruz, Luis Fernando Camacho, ein Drahtzieher des Putsches gegen Morales, drohte Präsident Luis Arce und der MAS offen damit, dass er der »Einschüchterung und Verfolgung« von ehemaligen Politikern und Militärs »nicht tatenlos zusehen« werde.
»Diese demokratisch gewählte Regierung hat nicht die Absicht, irgendjemanden politisch zu verfolgen, aber sie wird dafür sorgen, dass es in unserem Land Gerechtigkeit gibt«, wies Minister Eduardo del Castillo die Unterstellungen der politischen Rechten zurück. Die Staatsanwälte waren tätig geworden, nachdem die ehemalige Kongressabgeordnete Lidia Patty von der MAS mehrere Akteure des Putsches angezeigt hatte. Auch Eva Copa vom linken indigenen Parteienbündnis »Jallalla«, die vor einer Woche mit über 60 Prozent zur Bürgermeisterin der Stadt El Alto gewählt worden war, forderte die Einleitung von Strafverfahren gegen die »für Menschenrechtsverletzungen und Massaker verantwortlichen« Politiker des bis Herbst 2020 herrschenden Putschistenregimes. Expräsident Evo Morales begrüßte die Ermittlungen ebenfalls, »damit den 36 Opfern, mehr als 800 Verletzten und über 1.500 illegal Inhaftierten endlich Gerechtigkeit widerfährt«.
Es dürfe »weder Vergeben noch Vergessen« geben, fordert auch Paulo Abrão, der ehemalige Exekutivsekretär der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR), die dem Putschistenregime Massaker an der Zivilbevölkerung vorgeworfen hatte. »Angriffe auf die Demokratie erfordern die stärksten und energischsten Antworten der Justiz«, schrieb Abrão am Wochenende per Twitter. Die bolivianische Gesellschaft müsse jetzt »ein Exempel gegen die neuen Formen des Autoritarismus statuieren«.