Kein Vergeben
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Putschisten in Bolivien festgenommen
Von Volker Hermsdorf
Nach dem Putsch gegen den im Oktober 2019 erneut vom Volk gewählten ersten indigenen Präsidenten Boliviens, Evo Morales, wiesen die neuen Machthaber Militär und Polizei an, jeden Protest gegen den Staatsstreich mit allen Mitteln zu unterdrücken. Während der einjährigen Herrschaft des von Washington gestützten rechten Regimes wurden Dutzende Zivilisten getötet, über 800 Personen verletzt und mehr als 1.500 Menschen verschwanden in den Kerkern der Putschisten.
Nur drei Tage, nachdem die damalige Vizepräsidentin des Senats, Jeanine Áñez, sich selbst zur Übergangspräsidentin erklärt hatte, starben am 15. November 2019 in der Stadt Sacaba im Departamento Cochabamba zehn Personen im Kugelhagel des Militärs, mindestens 124 wurden verletzt. Kokabauern aus der ländlichen Region waren auf einem Marsch in die Stadt, mit dem sie ihren Präsidenten Morales und die Demokratie verteidigen wollten, zusammengeschossen worden. Auf Anweisung von Áñez wurden Beweise für die blutigen Ereignisse jedoch unter Verschluss gehalten.
Vier Tage später forderte ein Einsatz gegen protestierende Bürger in der nahe der Stadt El Alto gelegenen, rund 1.400 Einwohner zählenden Ortschaft Senkata weitere zehn Todesopfer und 31 Verletzte. 400 Menschen wurden festgenommen. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IACHR) bezeichnete den Vorfall vom 19. November 2019 als Massaker an der Zivilbevölkerung. Doch Putschpräsidentin Áñez rechtfertigte das Vorgehen und erließ ein Dekret, das dem Militär »bei Einsätzen zur Herstellung der öffentlichen Ordnung« Straffreiheit einräumte. Es wurde erst nach lauten internationalen Protesten wieder aufgehoben. Verfolgung, Verhaftungen, Mord und Terror gingen jedoch weiter.
Für die für solche Taten Verantwortlichen dürfe es »weder Vergeben noch Vergessen« geben, fordert der damalige IACHR-Exekutivsekretär Paulo Abrão jetzt zu Recht. Nach der Kritik an den Massakern war der angesehene Rechtsprofessor und ehemalige Justizminister Brasiliens auf Betreiben von Luis Almagro, dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der die IACHR untersteht, im August 2020 aus dem Amt katapultiert worden. Verständlich, denn die OAS hatte den Putsch gegen Morales mit dem bis heute nicht belegten Vorwurf der Wahlfälschung eingeleitet. Deshalb muss die Aufforderung, »nichts zu vergessen und nichts zu vergeben«, sowohl für die Putschisten und ihre Verbrechen, als auch für deren Helfershelfer gelten.
Die jetzt in Bolivien beschuldigten Menschenrechtsverletzer und mutmaßlichen Mörder waren sowohl von der Regierung Donald Trumps als auch von verschiedenen europäischen Ländern und dem bundesdeutschen Außenministerdarsteller Heiko Maas lange Zeit als »rechtmäßig« anerkannt worden. Deshalb darf deren Mitschuld an der Unterdrückung des bolivianischen Volkes nicht vergessen werden.