Rückhalt schwindet
Vor Parlamentswahl in Venezuela: Guaidós »Botschafterin« in London tritt zurück. Opposition uneins über Vorgehen
Von Frederic Schnatterer
Teilen der ultrarechten venezolanischen Opposition scheint zu dämmern, dass die eigenen Erfolgsaussichten immer weiter schwinden. Sie verlassen das sinkende Schiff. Am Dienstag berichtete die britische Financial Times, dass Vanessa Neumann, »Botschafterin« des selbsternannten »Übergangspräsidenten« Juan Guaidó in London, von ihrem »Amt« zurückgetreten sei. Grund seien Zweifel ob der künftigen Rolle von Guaidó im Konflikt mit der Regierung des gewählten Präsidenten Nicolás Maduro. »Der Kampf gegen Maduro wird weitergehen – und ich persönlich werde weiterkämpfen«, wird Neumann in der Financial Times zitiert. Aber: »Die Zukunft von Guaidós Führungsrolle ist innerhalb der Opposition ungeklärt.«
Es ist kein Zufall, dass die Konflikte innerhalb des radikalsten Teils der Opposition gerade jetzt zunehmen. Am kommenden Sonntag wird in Venezuela die Nationalversammlung neu gewählt, mehr als 14.000 Kandidaten bewerben sich um die 277 Abgeordnetenmandate. Insgesamt 107 Parteien wurden zur Abstimmung zugelassen, die überwältigende Mehrheit – insgesamt 98 – gehören der Opposition an.
Während also der Großteil der Rechten darauf setzt, der Regierung am kommenden Sonntag einen Denkzettel zu verpassen, verbleibt die Riege um Guaidó in Totalopposition. Mit dem Vorwurf, die Abstimmung sei von vorneherein als »gefälscht« zu bewerten, boykottiert sie die Parlamentswahl. Das kann für die Opposition zum Problem werden, da die Nationalversammlung bisher das einzige Gremium war, in dem sie die Mehrheit stellte. Nicht zuletzt Guaidó zog Anfang 2019 aus diesem Umstand die vermeintliche Legitimation, als er sich in seiner Funktion des Parlamentspräsidenten zum übergangsweisen Staatsoberhaupt ausrief – eine Position, die er auch fast zwei Jahre später noch vorgibt auszuüben.
Dazu, dass es für Guaidó ab dem 5. Januar 2021 – dem Tag der Konstituierung des neuen Parlaments – also noch schwerer werden dürfte, seinen Anspruch auf die Rolle als »Oppositionsführer« zu rechtfertigen, kommt das Ergebnis der Präsidentenwahl in den USA. Am Montag forderte er daher gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, die neugewählte US-Regierung müsse in Absprache mit der EU und den lateinamerikanischen Staaten den Druck auf Maduro aufrecht erhalten. »Sie sollten die Sanktionen nicht nur verschärfen, sondern auch untereinander angleichen, um zu verhindern, dass die Diktatur sie umgehen kann.« Zu Berichten, der designierte US-Präsident Joseph Biden könnte direkten Kontakt zu Maduro aufnehmen, erklärte Guaidó: »Das wäre eine Tragödie.«
Der Ruf nach einer Verschärfung der Sanktionen gegen Venezuela ist derweil selbst im eigenen Lager nicht mehr unumstritten. Auch der Rücktritt von Neumann als »Botschafterin« in London steht zumindest indirekt mit Washingtons Strafmaßnahmen gegen Caracas in Verbindung. Anfang Oktober hatte ein Londoner Gericht entschieden, dass der Konflikt zwischen dem Guaidó-Lager und der venezolanischen Regierung um den Anspruch auf 31 Tonnen venezolanischen Goldes, die bei der Bank of England liegen, nicht abschließend geklärt sei, und damit ein vorheriges Urteil revidiert. In der Folge wurde Neumann als Repräsentantin des selbsternannten »Übergangspräsidenten« verpflichtet, die Gerichtskosten von 529.000 US-Dollar an die Nationalbank Venezuelas zurückzuerstatten.
Das geschah jedoch nie. Als Begründung mussten die US-Sanktionen gegen die Regierung in Caracas herhalten, die Überweisungen an das Geldinstitut untersagen. Besonders unangenehm für Neumann: Das Londoner Gericht begründete sein Urteil damit, dass nicht eindeutig geklärt sei, wen die britische Regierung als Staatsoberhaupt Venezuelas anerkenne, da sie auch Beziehungen zur Regierung von Maduro unterhält. »Es ist tragisch«, so Neumann gegenüber der Financial Times vom Dienstag. Denn: In den fast zwei Jahren seit der Selbstausrufung von Guaidó zum »Interimspräsidenten« habe sich praktisch wenig geändert.
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