Neue Landwirtschaftspolitik: Regierung beendet staatliches „Acopio“-Monopol
Kubas Ministerrat hat eine tiefgreifende Reform der Landwirtschaftspolitik beschlossen. Private Bauern, Kooperativen und andere Lebensmittelproduzenten dürfen ihre Erzeugnisse jetzt über verschiedene Kanäle direkt vermarkten, womit die bisherige Monopolstellung des staatlichen Abnehmers „Acopio“ beendet wird. Darüber hinaus können Landwirte erstmals Düngemittel, Traktoren und andere Zwischengüter gegen Devisen einkaufen und Produkte ohne Umwege im Einzelhandel anbieten.
Die Verbesserung der Lebensmittelversorgung zählt zu den Prioritäten der Regierung im Rahmen der im Sommer verabschiedeten neuen Wirtschaftsstrategie, mit der das Land den ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie begegnen will. Mit dem Ausfall des Tourismus und dem Rückgang der Importe in diesem Jahr hat sich die Versorgungslage zugespitzt. Wie Landwirtschaftsminister Gustavo Rodríguez Rollero am Freitag in einer Sondersendung erklärte, benötige man jeden Monat 154.000 Tonnen an landwirtschaftlichen Produkten, um das selbst gesteckte Basisziel von 30 Pfund Obst und Gemüse pro Einwohner sicherstellen zu können. „Diesen Monat fehlen uns über 50.000 Tonnen, in Havanna stehen lediglich 15.000 der benötigten 29.000 Tonnen bereit“, so Rollero.
Kubas stark zentralisierte Agrarpolitik steht schon länger in der Kritik von Ökonomen in- und außerhalb des Landes. Viele Erzeugnisse gehen durch Rückstände in den Zahlungen, unsachgemäße Lagerung und zu späte Abholung durch den staatlichen Monopolisten „Acopio“ verloren, zudem fehlt es an Anreizen für die Produzenten. Noch immer muss Kuba rund 70 Prozent seines Kalorienbedarfs importieren, von dem ein Großteil im Land hergestellt werden könnte. Um diesen Zustand zu ändern, sind in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung, Landwirten und Experten zu dem Thema 51 neue Maßnahmen entstanden, welche die Grundlagen für eine neue Landwirtschaftspolitik bilden. Sie knüpfen an die bereits 2013 verabschiedete und später zurückgenommene Landwirtschaftsreform an, gehen jedoch über diese hinaus. Wie Wirtschaftsminister Alejandro Gil am Freitag erklärte, „kosten uns diese Maßnahmen keine Devisen. Es handelt sich um interne Restrukturierungen, mit denen bessere Resultate erreicht werden indem mit einigen Dogmen gebrochen wird“. Die wichtigsten Reformen im Überblick:
- Freie Vermarktung für Groß- und Einzelhandel: Grundsätzliche Linie der neuen Wirtschaftspolitik ist es, gleiche Bedingungen für alle Produzenten herzustellen. Im Agrarsektor bedeutet dies, dass sämtliche Lebensmittelhersteller (vom Kleinbauern über die Kooperative bis hin zu Arbeitern auf eigene Rechnung) Zugang zum Groß- und Einzelhandel erhalten werden um ihre Produkte dort auf direktem Weg feilzubieten. Landwirte können damit ihre Überschüsse nach Erfüllung der Verträge mit dem Staat frei vermarkten und neue Wertschöpfungsketten mit dem Privatsektor bilden. Damit sollen mehr nationale Lebensmittel, auch in weiterverarbeiteter Form, in den Supermärkten landen. Bisher ist dort fast ausschließlich Importware erhältlich.
- Mehr Wettbewerb: Ein häufiges Problem seien laut dem Minister die Zahlungsschwierigkeiten von „Acopio“. Künftig wird die Position von Produzenten gegenüber dem Monopolisten deshalb deutlich gestärkt: Sollte Acopio nicht rechtzeitig bezahlen, können Landwirte nach Ablauf einer Frist ihre Ware an beliebige andere Marktteilnehmer verkaufen. Acopio werde so gezwungen, nur noch Verträge einzugehen, die die Firma auch einhalten könne anstatt Produzenten zu blockieren. Als weitere Akteure kommen jetzt private Groß- und Einzelhändler hinzu. Staatliche Betriebe dürfen ihre Ressourcen (Transportkapazitäten, Lager- und Kühlhäuser, etc.) an diese vermieten. Auch „fliegende Händler“, (span.: carretilleros), für die seit 2017 keine neuen Lizenzen mehr ausgegeben wurden, sind wieder erlaubt. Damit hätten „praktisch alle Akteure eine legale Rechtsform erhalten“, so Rollero. Diese werden „unter vollständiger Autonomie im gegenseitigen Wettbewerb stehen, was zur Steigerung der Effizienz beiträgt“.
- Zugang zum Außenhandel: Private Landwirte und Kooperativen können bereits seit September ihre Produkte über 37 staatliche Außenhandelsbetriebe vermarkten und dabei 100 Prozent der Gewinne behalten (80 Prozent werden in US-Dollar und 20 Prozent in kubanischen Pesos ausbezahlt). Die ersten Exportverträge für Avocados und Limetten nach Spanien sind bereits am laufen. Jetzt soll auch der umgekehrte Weg möglich sein: Düngemittel, Saatgut und Traktoren können von sämtlichen Agrarproduzenten gegen Devisen vom Staat bezogen werden. Hierzu haben bereits drei Großhändler in Havanna, Villa Clara und Santiago de Cuba mit der Pilotphase begonnen, weitere sollen folgen. Der Handel mit den Betrieben in der Sonderwirtschaftszone Mariel (ZEDM) ist jetzt ebenso in beide Richtungen möglich und gewünscht. Damit sollen sich die Produzenten über Exporte kapitalisieren und so die nötigen Mittel für die Ausweitung ihrer Produktion erhalten können.
- Beseitigung von Zwischenhändlern: Zwischenhändler wurden als häufiger Grund für Verluste und steigende Preise ausgemacht, so Rollero. Künftig können deshalb Gemeinden und kommunale Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser ihre Lebensmittel direkt von verschiedenen Anbietern einkaufen und damit selbstständig über ihr Budget verfügen. So soll „größere Flexibilität, auch mit Blick auf die Bedürfnisse jeder einzelnen Institution“ entstehen. Auch können Produzenten jetzt direkt an benachbarte Lagerhäuser und Industriebetriebe verkaufen ohne den Zwischenschritt über „Acopio“ gehen zu müssen.
- Moderne Bauernmärkte: „Der Bauernmarkt muss sich verändern. Wir können nicht mit einer ‚Acopio-Gondel‘ weitermachen“, erklärte Landwirtschaftsminister Rodríguez Rollero. Künftig sollen Kubas Bauernmärkte ein breiteres Sortiment in moderner Präsentation erhalten. Hierfür sollen höherwertige Produkte und eine stärkere Preisdifferenzierung Einzug halten. Produzenten werden ermutigt, eigene Marken zu schaffen und Industrielebensmittel (Konserven, abgepacktes) anzubieten. Auch ein eigenes kubanisches Bio-Label soll entstehen. Zur Umsetzung dieser Maßnahmen ist ein umfangreiches Investitionsprogramm vorgesehen, welches auch die Wiedereröffnung des Großhandelsmarkts „El Trigal“ in Havanna umfasst.
- Neue Preispolitik: Wie Wirtschaftsminister Alejandro Gil erklärte, habe es im Vorfeld zahlreiche Debatten über die neue Preispolitik für Lebensmittel gegeben. Dabei sei man zu dem Schluss gelangt, dass Preisobergrenzen als Instrument nicht funktionieren, da dann die Waren entweder unverkauft bleiben oder zum alten Preis auf dem Schwarzmarkt landeten. Dennoch müsse der Staat regulierend eingreifen, um ein Gleichgewicht zwischen erschwinglichen Lebensmitteln für die Kunden und Anreizen für die Produzenten zu schaffen. Aus diesem Grund wird die Preispolitik auf die kommunale Ebene verlagert, wo gemäß der lokalen Bedingungen entscheiden werden kann. Lediglich 18 Produkte werden weiterhin mit zentralisierten Preisen gehandelt (u.a. Reis, Bohnen, Milch, Tabak, Zucker, Eier), die übrigen sollen mit den Produzenten auf Basis von Verträgen ausgehandelt werden. 12 weitere Produkte werden lediglich im staatlichen Einzelhandel zu Festpreisen erhältlich sein (u.a. Malanga, Guaven, Mangos, Koch- und Essbananen, Kartoffeln), beim Verkauf an andere Kunden gelten Angebot und Nachfrage zur Preisbildung. Darüber hinaus werden sämtliche Preise systematisch überwacht und täglich gemeldet, um bei größeren Schwankungen schneller reagieren zu können.
- Unbürokratische Anstellung von Saisonarbeitskräften: Private Landwirte können ab sofort Saisonarbeitskräfte für bis zu 90 Tage per mündlichem Vertrag einstellen, auch wenn diese keine Lizenz für den Privatsektor halten. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 44 Stunden darf dabei nicht überschritten werden.
- Steuervorteile und Kredite: Noch bis zum Ende des Jahres will die staatliche Kredit- und Handelsbank BANDEC „neue Finanzprodukte für den Agrarsektor“ schaffen. Erstmals sollen so sämtliche Eigentumsformen in der Landwirtschaft Zugang zu Krediten für die Erweiterung ihrer Produktion erhalten. Die ursprüngliche Idee, eine komplett neue landwirtschaftliche Entwicklungsbank zu schaffen, wurde aus Zeit- und Kostengründen wieder verworfen. BANDEC verfügt bereits über ein umfangreiches Filialsystem in allen Provinzen, welches jetzt zu diesem Zweck erweitert wird. Neuerungen gibt es auch beim Steuersystem: Die Einkommenssteuer für Landwirte wurde auf 5 Prozent gesenkt, zudem werden die Gemeinden nach Bedarf weitere Steuererleichterungen für Lebensmittelhersteller erlassen können.
Fazit
Mit der Landwirtschaftsreform wurde vergangene Woche das letzte fehlende Bindeglied der neuen kubanischen Wirtschaftsstrategie beschlossen. Dass die Agrarreform erst nach allen anderen Vorhaben vorgestellt wurde, deutet darauf hin, dass es hinter den Kulissen kontroverse Debatten über den umfangreichen Maßnahmenkatalog gegeben haben könnte. Die jetzigen Schritte stellen ohne Zweifel die weitreichendsten Neuerungen auf dem Gebiet der Landwirtschaft seit den 1990er Jahren auf Kuba dar. Sie könnten eine neue Dynamik bei der Produktion von Lebensmitteln erzeugen, allerdings wird es wie immer in der Landwirtschaft einige Zeit brauchen, bis sich tatsächlich messbare Erfolge einstellen.
Premierminister Manuel Marrero urteilte auf der letzten Sitzung des Ministerrats, dass die Reform zwar nicht sofort die Produktion steigern, wohl aber bereits kurzfristig „eine bessere Verteilung, Organisation und Nutzung der bestehenden Kapazitäten“ ermöglichen werde. Wichtige Schritte, wie die Ausweitung von Krediten, sollen noch in diesem Jahr erfolgen. Die Öffnung des Außenhandels ist bereits in vollem Gange. Präsident Miguel Díaz-Canel forderte indes, dass sämtliche der beschlossenen Maßnahmen jetzt „schnellstmöglich in die Praxis umgesetzt werden“ müssten.
Neue Landwirtschaftspolitik: Regierung beendet staatliches „Acopio“-Monopol