Beyond Corona – Wie ist die Lage auf Kuba?
In 29 Ländern der Welt engagieren sich 39 HamburgAmbassadors ehrenamtlich für die Hansestadt, um diese im Ausland noch bekannter zu machen. Zu ihnen gehört auch Jürgen Nicklaus, er lebt seit 20 Jahren in der kubanischen Hauptstadt Havanna. In unserer Interview-Reihe erzählt der HamburgAmbassador, wie er die Coronakrise erlebt und wie die Kubaner mit den aktuellen Herausforderungen umgehen.
Hamburg News: Lieber Herr Nicklaus, die vielleicht aktuellste Frage vorweg – Welchen Einfluss hat die US-Wahl auf Kuba?
Jürgen Nicklaus: In Kuba ist man sehr erleichtert, dass Joe Biden die Wahl in den USA gewonnen hat. Biden hat ja vor der Wahl angekündigt, dass er die Sanktionen, die Trump eingeführt hat, wieder abschaffen will. Es können dann in Zukunft wieder von den USA aus US-Dollar nach Kuba überwiesen werden, amerikanische Touristen können wieder nach Kuba reisen, Kreuzfahrtschiffe dürfen dann wieder kubanische Häfen anlaufen und der Handel zwischen den USA und Kuba soll wieder vereinfacht werden.
Hamburg News: Kuba hatte über Monate seine Grenzen total geschlossen, auch Sie konnten erst Ende Juli mit einem von der kubanischen Regierung organisierten – sogenannten humanitären – Flug wieder einreisen. Wie sind zurzeit Ihre Lebensbedingungen in dem Inselstaat?
Nicklaus: Derzeit sind die Lebensbedingungen wieder etwas besser geworden. Im September hatten wir allerdings in Havanna und in einigen Provinzen den ganzen Monat vom frühen Abend bis in den Morgen Ausgangssperre, alle Bars und Restaurants waren geschlossen. Auch Reisen zwischen den verschiedenen Provinzen war nur mit Sondergenehmigung möglich, das heißt der gesamte Personentransport kam zum Erliegen. Im Oktober und November wurden dann die Einschränkungen schrittweise gelockert bzw. aufgehoben.
Hamburg News: Was sind die Ursachen, warum hat der sozialistische Staat kaum Infizierte oder Tote durch das Virus zu beklagen?
Nicklaus: Im Moment gibt es zwischen 20 bis 60 Neuerkrankungen und kaum Tote. Insgesamt hatte Kuba von März bis Mitte November etwa 7.600 Covid-19-Erkrankungen und 131 Tote. Bei 11,2 Mio. Einwohnern ist das ein ausgezeichneter Wert. In den letzten sieben Tagen waren das 2,7 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Ich glaube auch nicht, dass die Zahlen gefälscht sind, zumal jede einzelne Infektion täglich in der Presse („Cubadebate“) aufgezählt wird, inklusive Provinz, Stadt und Bezirk.
In Havanna und in fast allen Provinzen gibt es Maskenpflicht und die Polizei achtet streng darauf, dass die Masken auch korrekt getragen werden. Die Strafen sind hoch, umgerechnet etwa 80 US-Dollar. Wenn eine Neuinfektion festgestellt wird, wird der gesamte Bezirk von der Polizei abgesperrt und kann nur mit Sondergenehmigung betreten oder verlassen werden. Alle Kontaktpersonen müssen in Quarantäne. Darüber hinaus werden seit dem Frühjahr praktisch alle Haushalte in regelmäßigen Abständen von Ärzten und Medizinstudenten aufgesucht und auf Symptome einer Covid-19-Infektion überprüft. Durch diese Maßnahmen hat man die Neuinfektionen relativ gut unter Kontrolle und im Ergebnis kaum Infizierte oder Tote.
Hamburg News: Mit dem Schließen der Grenzen gleich zu Beginn der Pandemie ist Kuba mit dem Tourismus eines der wichtigsten Wirtschaftszweige weggebrochen. Sehen Sie eine leichte Erholung für diesen Sektor?
Nicklaus: Tourismus war eine der wichtigsten Deviseneinnahmen für Kuba. Seit Ende März bis Anfang Oktober gab es keine Touristen; alle Restaurants, Hotels und Zimmervermietungen waren geschlossen. Seit Oktober haben fast alle internationalen Flughäfen von Kuba wieder geöffnet, seit Mitte November auch der Flughafen José Martí von Havanna. Condor fliegt zum Beispiel sechsmal pro Woche von Düsseldorf und Frankfurt nach Varadero. Alle Passagiere müssen bei der Ankunft in Kuba einen PCR-Virustest machen. Die Kosten für den Test werden beim Kauf des Tickets mitberechnet. Kuba erhofft sich mit diesen Maßnahmen einen enormen Anstieg beim Tourismus und somit wichtige Deviseneinnahmen.
Hamburg News: Hervorgerufen durch die Coronakrise hat Kuba im Gesundheitsbereich einen neuen, weltweit führenden Wirtschaftszweig für das Land etabliert: die Versendung von Ärzten und Schwestern sowie Pflegern ins Ausland. Wie schätzen Sie den Effekt ein?
Nicklaus: Kuba hat schon seit längerer Zeit diesen Wirtschaftszweig. Als Venezuela noch Devisen hatte, wurden bis zu 25.000 Ärzte dorthin geschickt und man hatte 6.500 US-Dollar pro Arzt und Monat berechnet. Fast alle mittelamerikanischen und südamerikanischen Länder wurden von Kuba gegen Bezahlung mit Ärzten versorgt. Zeitweise waren Ärzte und Medikamente die wichtigste Deviseneinnahme für Kuba. Kuba versucht jetzt auch verstärkt, Krankenpfleger*innen nach Europa zu vermitteln. Das stößt allerdings auf Schwierigkeiten, da Kuba nur einen geringen Anteil der Einnahmen an das Pflegepersonal weitergeben will.
Hamburg News: Medienberichten zufolge zeigt Kuba in diesen schweren Zeiten großen Veränderungseifer. Präsident Miguel Díaz-Canel hat mehr ökonomische Öffnung und Abbau der Bürokratie gefordert. Gibt es Beispiele dafür?
Nicklaus: Es ist richtig, dass Präsident Díaz-Canel immer wieder den Abbau der Bürokratie fordert, wobei die Bürokratie in Kuba auch wirklich extrem ist. Der Wille ist da, ob es allerdings auch wie vom Präsidenten gewünscht durchführbar ist, bezweifle ich. Das wird wohl doch noch etwas länger dauern.
Private Kleinstunternehmer sollen gefördert werden und Lizenzen werden großzügiger erteilt als vorher. Private Unternehmen können jetzt auch Importieren oder Exportieren, allerdings nur über staatliche Außenhandelsgesellschaften. Für ausländische Investoren soll es künftig einfacher werden, in Kuba Geschäfte zu machen. Auch hier sollen bürokratische Hürden abgeschafft werden. Bisher musste man beim Umtausch von US-Dollar immer 10 Prozent Umtauschgebühr bezahlen. Diese Gebühr ist abgeschafft worden. Man will damit erreichen, dass mehr US-Währung ins Land kommt.
Hamburg News: Die Nahrungsmittelversorgung hat besonders während der Coronakrise sehr gelitten, viele Kubaner hatten kaum das Nötigste, um sich zu ernähren. Nun wird der Sektor zur „Angelegenheit der nationalen Sicherheit“. Ist das ein Schritt nach vorn?
Nicklaus: Den Schritt nach vorn kann man bisher nicht erkennen. Die Nahrungsmittelversorgung ist immer noch sehr schlecht. Zusätzlich haben sich die Preise selbst bei Grundnahrungsmittel erheblich erhöht. Es gibt jetzt immer mehr staatliche Geschäfte, bei denen man nur mit Debit- oder Kreditkarten bezahlen kann, das heißt nur gegen Devisen („MLC – Moneda libremente convertible“).
Hamburg News: Die Digitalisierung ist in dem Inselstaat bislang kaum vorhanden. Gibt es auch hier Ansätze, diese Situation zu verbessern?
Nicklaus: Doch, hier tut sich etwas. Viele Konferenzen werden digital, selbst Messeveranstaltungen werden jetzt digital geplant und durchgeführt.
Hamburg News: Lieber Herr Nicklaus, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.
imb/sb