Putschisten privatisieren
Bolivien: Regime verscherbelt Staatsunternehmen. Angst vor Wahlniederlage gegen Linke. Präsident Morales weiter verfolgt
Von Volker Hermsdorf
Kurz vor den für den 18. Oktober angesetzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen hat das Putschistenregime in Bolivien gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen die Privatisierung des vor zehn Jahren verstaatlichten Elektrizitätsunternehmens Elfec (Empresa de Luz y Fuerza Eléctrica Cochabamba) durchgesetzt. Angesichts steigender Umfragewerte für die linke »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) hat die amtierende De-facto-Regierung die Maßnahme im Eiltempo durchgepeitscht. Um den Einfluss des Staates auf wirtschaftliche Entscheidungen weiter zu beschneiden, waren interne Kritiker des Regimes kaltgestellt und durch neoliberale Hardliner ersetzt worden.
Der im November 2019 per Staatsstreich gestürzte Präsident Evo Morales, der den Wahlkampf der MAS aus seinem argentinischen Exil leitet, nutzte den Vorgang zur Mobilisierung seiner Anhänger. Am Wahltag müsse das bolivianische Volk »sich zwischen denen entscheiden, die zurück in die neoliberale Vergangenheit mit Armut und Abhängigkeit wollten, und denen, die politische Stabilität, Unabhängigkeit sowie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes fördern wollen«, schrieb Morales am Sonntag (Ortszeit) auf Twitter.
Die Privatisierung hatte zu einer schweren Regierungskrise geführt. Nachdem zunächst Generalstaatsanwalt José María Cabrera seines Amtes enthoben worden war, hatte die selbsternannte »Interimspräsidentin« Jeanine Áñez am Montag vergangener Woche auch Wirtschaftsminister Óscar Ortiz sowie die Planungs- und Arbeitsminister Oscar Mercado und Abel Martinez entlassen. Die Betroffenen hatten die von Áñez am 14. September angekündigte Rückgabe der Aktien des zu 92 Prozent im Staatsbesitz befindlichen Elektrizitätsversorgers an private Investoren als rechtswidrig abgelehnt.
Während Cabrera auf »wirtschaftliche Schäden für den Staat und die Bürger« hinwies, hatte Ortiz erklärt, er werde kein Dekret unterzeichnen, »das gegen das Rechtssystem des Landes« verstoßen würde. Zudem griff er De-facto-Innenminister Arturo Murillo scharf an, der laut Ortiz hinter den Privatisierungsplänen stecke, da er diese maßgeblich vorangetrieben hatte. Murillo sei nicht in der Lage, Lösungen »im Rahmen der Verfassung und der Gesetze zu finden«, zitierte das bolivianische Onlinemagazin La Época den Politiker.
Nach der Entlassung von Ortiz ernannte Áñez den Unternehmer Branko Marinkovic zum neuen Wirtschafts- und Finanzminister. Dieser gehört zu den reichsten Männern des Landes und besitzt sowohl die bolivianische als auch die kroatische Staatsbürgerschaft. Sein Imperium umfasst Großgrundbesitz, Rinderzucht, Speiseölproduktion, Bankbeteiligungen und weitere Sparten in beiden Ländern. Von 2007 bis 2009 war Marinkovic Präsident des faschistischen Comité pro Santa Cruz. Dessen derzeitiger Vorsitzender, der klerikalfaschistische Millionär Luis Camacho, hatte eine entscheidende Rolle beim Putsch gegen Morales gespielt.
Marinkovic war der Anführer einer Schlägertruppe, die als militanter Arm des Komitees Gewaltakte in Armenvierteln und gegen Bauern verübte. Im Juni 2010 erließ ein bolivianisches Gericht einen Haftbefehl gegen ihn: Ermittler hatten Marinkovic vorgeworfen, den Einsatz ausländischer Söldner in Bolivien finanziert zu haben, und neben automatischen Waffen und Granaten auch Pläne für Anschläge auf Morales und andere linke Politiker sichergestellt. Der Beschuldigte entzog sich dem Verfahren jedoch durch Flucht in die USA, wo ihm Asyl gewährt wurde.
Später ließ er sich in Brasilien nieder, von dort aus unterstützte er den Staatsstreich gegen Evo Morales. Kurz nach dem Putsch kehrte er wieder nach Bolivien zurück. Dort soll der Multimillionär nach den Vorstellungen des rechten Lagers nach den Wahlen vom 18. Oktober wieder eine Führungsposition einnehmen. »Wir sind sehr daran interessiert, Unternehmer wie Branko in der Regierung zu haben«, erklärte der konservative Expräsident Carlos Mesa von Comunidad Ciudadana, der in Wahlumfragen derzeit hinter dem MAS-Spitzenkandidaten Luis Arce auf dem zweiten Platz liegt.
Um ihre Pläne verwirklichen zu können, vertraut die Rechte – trotz der zugesicherten erneuten Unterstützung durch »Wahlbeobachter« der von Washington kontrollierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) – nicht mehr auf einen Wahlsieg, sondern setzt auf Verfolgung von Kandidaten und Politikern der MAS. Dabei läuft aber nicht immer alles nach Wunsch. Am Donnerstag lehnte die Internationale kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol) bereits zum zweiten Mal einen Antrag auf Ausstellung eines internationalen Haftbefehls gegen Morales ab, dem die Putschisten die Straftaten »Aufruhr und Terrorismus« wegen der angeblichen Mobilisierung von Straßenblockaden nach dem Staatsstreich vorwerfen. Interpol sieht jedoch keine Rechtfertigung für einen Haftbefehl, da sich die Vorwürfe gegen politische Aktivitäten richteten.
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