Kuba: Bringt die Coronakrise den Aufbruch?
Kuba hat niedrige Infektionszahlen. Neben der Pandemie haben der Wirtschaft auch das US-Handelsembargo und fehlende Reformen weiter schwer zugesetzt. Mittlerweile öffnet sich das Land wieder, auch für den Tourismus. Der wirtschaftliche Druck bleibt.
Die Straßen in der Altstadt von Havanna füllen sich wieder. Kubaner und Kubannerinnen sitzen in den Restaurants. Vor vielen Geschäften bilden sich lange Schlangen. Abel Álvarez kauft mittlerweile in den neuen Dollarläden ein. Von ihnen haben auf der sozialistischen Karibikinsel seit Juli rund 70 neu geöffnet.
Dollarläden haben mehr Auswahl an Waren
Dort gibt es Dinge zu kaufen, die in den normalen Läden nicht vorrätig sind: italienischen Kaffee, Pasta, Speiseöl, Shampoo, Elektrogeräte, um nur einiges zu nennen. Der 49-jährige Abel Álvarez berichtet, dass ihm Familienangehörigen im Ausland Geld schicken, das er auf einer Karte deponiert, um dann damit in den Dollarläden einzukaufen. Aber auch in diesen Läden gebe es nicht ausreichend Waren und die Kunden müssen Schlange stehen, so Abel.
Kuba importiert viele Waren
Einkaufen kann hier nur, wer wie Abel an Devisen kommt. Er selbst kritisiert, dass damit das Zwei-Klassen-System nur noch mehr gefördert werde. Die Lebensmittel und Hygieneprodukte seien in den Dollarläden knapp und überteuert. Erst vor kurzem habe er mit dem Motorrad alle Läden in der Umgebung abgeklappert, um Kaffee zu kaufen, aber er hätten keinen bekommen.
Kuba produziert selbst kaum, ist auf den Import von Lebensmitteln angewiesen, das ist teuer. Rund zwei Milliarden US-Dollar gibt das Land jährlich dafür aus.
Devisen sollen der kubanischen Wirtschaft aufhelfen
Mit den Dollarläden sollen Devisen ins Land kommen. Die kubanische Regierung will damit der durch die Pandemie sich immer weiter zuspitzenden Wirtschaftskrise und den US-Sanktionen entgegenwirken. Doch auch wenn sich das Land jetzt wieder langsam öffnet, bleiben internationale Touristen nach wie vor aus – und damit die Haupteinnahmequelle für Devisen.
US-Blockade drückt Kuba die Luft ab
Die Pandemie habe Kuba hart getroffen, sagt der kubanische Wirtschaftswissenschaftler Omar Everleny. Es gebe keinen Sektor in der kubanischen Wirtschaft, der die Einnahmen aus dem Tourismus ersetzen könne. Zusätzlich bedrohe die US-Blockade die Wirtschaft. Viele lateinamerikanische Länder würden so von den USA unter Druck gesetzt, dass sie ihre Handelsverträge aufgelöst hätten, sagt Everleny.
Einnahmequelle durch Touristen fehlt wegen Corona
Auch Abel setzt seit einigen Jahren auf die Einnahmen durch Touristen. Er hat in zwei Wohnungen investiert, die er an Urlauber vermietet. Abel hat sie renoviert, es gibt heißes und kaltes Wasser, damit die Touristen den Komfort haben, den sie gewohnt sind. Doch seit Beginn der Pandemie stehen die Wohnungen leer.
Mit der Schließung der Grenzen kam kein Tourist mehr ins Land. Aber Abel will auch das Positive im Negativen sehen. Die Regierung habe die Bürger entlastet, weil sie in den letzten Monaten keine Steuern zahlen mussten – davon hätten die Selbständigen profitiert, die Zimmer an Ausländer vermieten.
Kubas Gesundheitssystem kümmert sich um Coronakranke
Derzeit leben Abel und seine Frau von Ersparnissen. Um seine Gesundheit macht er sich in der Coronakrise keine Gedanken. Seit Beginn der Pandemie gehen kubanische Medizinstudenten von Haus zu Haus, um sich um Risikopatienten zu kümmern und nach Infizierten zu suchen. Im kubanischen Gesundheitssystem falle – anders als in den USA – keiner durchs Raster, meint Abel Álvarez. In den USA sei eine Verwandte von ihm mit COVID-Verdacht ins Krankenhaus gegangen und habe für einen fünfstündigen Aufenthalt 3.000 Dollar bezahlen müssen, weil sie keine Krankenversicherung habe.
Ganz anders laufe das in Kuba, so Abel. In seiner Familie habe es zwei Verdachtsfälle gegeben, die kostenlos in einem speziellen Isolationszentrum untergebracht worden seien – kein 3-Sterne-Hotel, aber mit Verpflegung. Die kostenlose medizinische Versorgung gehöre zum System, sagt er.
US-Sanktionen behindern medizinische Versorgung
An Know-How mangelt es auf der sozialistischen Karibikinsel nicht. Aber zu Beginn der Pandemie bestand die Sorge, dass die medizinischen Geräte nicht ausreichen. Schnell wurde ein Team zusammengestellt, das für funktionierende Notfallbeatmungsgeräte sorgen sollte. Mit dabei auch Ernesto Velarde Reyes vom Zentrum für Neurowissenschaften in Havanna. Zunächst haben er und seine Kollegen alte Beatmungsgeräte gewartet. Doch für die Reparatur fehlten wichtige Komponenten, die nur im Ausland zu bekommen waren. Für Kuba eine große Hürde.
Die US-Sanktion hätten Kuba vor allem während der Coronakrise sehr geschadet, sagt Velarde Reyes. Weil die Herstellerfirma der Beatmungsgeräte von einem amerikanischen Unternehmen übernommen worden war, habe sie seither keine Ersatzteile für die Beatmungsgeräte mehr geliefert.
Kubanisches Improvisationstalent
Das Team stand also vor der Herausforderung, eigene Geräte zu entwickeln. Improvisationstalent war im Land des Mangels einmal mehr gefragt. Eine fachkompetente Anleitung bekamen die Entwickler ausgerechnet aus den USA: Auf den Internetseiten des Massachusetts Institute of Technology fanden sie die Informationen für die mechanische Entwicklung – auf der Grundlage von Open Source-Codes, die die Forscher des Instituts der Öffentlichkeit zur Verfügung stellten. Die Entwickler haben mit den verschiedensten kubanischen Institutionen zusammengearbeitet, bis hin zum Verband der Militärindustrie, erzählt Velarde Reyes.
Beatmungsgeräte entwickelt
Dennoch sei es eine große Herausforderung gewesen, das Beatmungsgerät zu entwickeln, erzählt er. Um einen leistungsfähigen Motor zu bekommen, hätten sie in den sozialen Netzwerken gesucht und seien auch fündig geworden. Kostenpunkt: 200 Dollar, eine Menge Geld für kubanische Verhältnisse.
Ein Unternehmer, den er persönlich gar nicht kannte, habe den Motor dann umsonst zur Verfügung gestellt. Velarde Reyes‘ Team habe sich dafür eingesetzt, das jeder Kubaner ein Beatmungsgerät bekomme, wenn es notwendig werde.
US-Blockade: Schwierige Geldtransfers nach Kuba
Aber Komponenten wie Bildschirme und Prozessoren mussten am Ende doch importiert werden. Unterstützung bekamen die Neurowissenschaftler von Medicuba-Suisse. Und auch die Schweizer Nichtregierungsorganisation musste die US-Sanktionen umschiffen, erklärt Manuel Vanegas Ayala. Es sei sehr schwierig, einen Finanztransfer zu veranlassen. Jedes Mal müsse man ein Labyrinth finden, damit Kuba das Geld auch direkt bekomme.
Not hat für langsame Reformen gesorgt
Doch der zunehmende wirtschaftliche Druck und die US-Blockade hätten Reformen bewirkt, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Omar Everleny. Kleine und mittelständische Unternehmen würden mehr unterstützt. Selbständige hätten mehr Freiheiten. Dennoch: Die Reformen würden angesichts der extremen Wirtschaftskrise nach wie vor zu langsam umgesetzt.
Am 26. Juli wurde über eine neue Strategie debattiert. Doch Everleny nennt die Entscheidungsprozesse „sehr schleppend“. Jede Woche würden zwei oder drei Maßnahmen verabschiedet, die aber nicht ausreichten, der Wirtschaftskrise zu begegnen. Fast alle Sektoren leiden darunter und schreiben negative Zahlen, so Everleny.
Hoffnungsvoller Blick auf US-Wahlen
Gespannt wartet Kuba auf den Ausgang der US-Wahlen Anfang November. Viele hoffen auf einen erneuten Annäherungskurs zwischen den USA und Kuba – mit dem Demokraten Joe Biden als Präsident.
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