Kampf um die Zukunft
Bolivien vor den Wahlen: Linke fürchtet um den Sieg gebracht zu werden. Putschisten hetzen weiter
Von Volker Hermsdorf
Hintergrund: Putsch gegen Morales
Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 20. Oktober 2019 in Bolivien erreichte die seit 2006 regierende »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) in beiden Kammern des Parlaments eine Mehrheit. Auch der MAS-Spitzenkandidat Evo Morales lag nach Auszählung der Stimmen mit 47,1 Prozent in Führung vor seinem rechten Herausforderer Carlos Mesa von »Comunidad Ciudadana«, der auf 36,5 Prozent kam. Der Abstand betrug demnach mehr als zehn Prozentpunkte, und damit war der erste indigene Präsident des Landes nach dem bolivianischen Wahlgesetz bereits im ersten Durchgang erneut zum Staats- und Regierungschef gewählt worden.
Die Rechtsparteien hatten jedoch schon vor den Wahlen erklärt, eine mögliche Niederlage nicht zu akzeptieren. Mesa hatte bereits kurz nach Beginn der Stimmauszählung behauptet: »Wir können mit absoluter Sicherheit sagen, dass wir in der zweiten Runde sind.« Zugleich riefen Vertreter des rechten Lagers ihre Anhänger noch während der Auszählung zu »Rebellion« und »Aktionen auf den Straßen« auf. In mehreren Städten organisierten Oppositionelle gewalttätige Ausschreitungen. Demonstranten skandierten »Tod für Evo«, zündeten einzelne Wahlurnen an oder steckten ganze Auszählungslokale in Brand, griffen ein Rechenzentrum an und zerstörten Büros der MAS.
Unterstützung erhielt der rechte Mob später durch die von Washington dominierte Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Deren Wahlbeobachter unterstellten einen »Wahlbetrug« und schufen damit die politische Grundlage für den Staatsstreich, der drei Wochen nach den Wahlen erfolgte. Obwohl die OAS-Vorwürfe mittlerweile durch zahlreiche Untersuchungen widerlegt sind, hatten ihre fehlerhafte Berichte »dabei geholfen, einen Präsidenten zu stürzen«, bestätigte selbst die US-Tageszeitung New York Times am 7. Juni.
Nachdem Vertreter der Opposition mit Bürgerkrieg gedroht und Teile der Armee sich gegen Morales gestellt hatten, wurde dieser am 10. November gezwungen, sein Amt aufzugeben. Zwei Tage später musste der gewählte Präsident zunächst nach Mexiko und dann nach Argentinien ins Exil fliehen. Morales warf »Teilen der Streitkräfte« vor, »sich gegen einen Präsidenten erhoben zu haben, der das einfache Volk vertritt, und statt dessen einen Putsch neoliberaler Politiker zu unterstützen, die die Wirtschaftsmacht in ihren Händen halten«. Während das Putschistenregime seine Macht mit Terror zu festigen versuchte, feierte US-Präsident Donald Trump den Sturz von Morales in einer Erklärung am 11. November 2019 als »bedeutenden Moment für die Demokratie« in Lateinamerika. Den Putsch bezeichnete der Machthaber im Weißen Haus als »starkes Signal an die illegitimen Regime in Venezuela und Nicaragua«. (vh)
In Bolivien geht es bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag um eine Richtungsentscheidung. Die mehr als sieben Millionen Wahlberechtigten müssten sich zwischen Sozialstaat und Demokratie auf der einen oder den Rückfall in Neoliberalismus und Diktatur auf der anderen Seite entscheiden, erklärte der im November 2019 gestürzte linke Präsident Evo Morales am Sonnabend per Twitter.
Die Vertreter des Putschistenregimes machten deutlich, für welchen Kurs sie stehen, als sie am Freitag die Mörder des vor 53 Jahre auf Befehl der CIA ermordeten Revolutionärs Ernesto Che Guevara ehrten. »Die Lektion, die wir der Welt mit dem Tod von Che Guevara erteilt haben, lautet, dass die kommunistische Diktatur in Bolivien keine Chance hat«, sagte die selbsternannte »Übergangspräsidentin« Jeanine Áñez auf einer Feier für das Militär im Departement Santa Cruz. Am 9. Oktober 1967 war Guevara hier in der Ortschaft La Higuera erschossen worden. De-facto-Verteidigungsminister Luis Fernando López bezeichnete Morales auf der Veranstaltung als einen »Feind im eigenen Land«, da dieser mit seiner Bewunderung für Che Guevara versucht habe, »die Geschichte unseres Sieges zu verzerren« und »Stolz gegen Schande« einzutauschen.
Der demonstrative Schulterschluss mit CIA-Auftragskillern kurz vor den Wahlen ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Rechte nicht bereit ist, ihre Macht friedlich abzugeben. Áñez hatte ihre Klientel wiederholt aufgefordert, eine »Rückkehr der Wilden« an die Regierung zu verhindern. Das könnte am Sonntag misslingen, da Luis Arce, der frühere Wirtschaftsminister und jetzige Spitzenkandidat der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS), derzeit in allen Umfragen deutlich vor seinen aussichtsreichsten Konkurrenten, dem konservativen Expräsidenten Carlos Mesa von der »Comunidad Ciudadana« und dem klerikalfaschistischen Millionär Luis Camacho vom Bündnis »Creemos«, liegt.
Statt mit Argumenten kämpft das Regime gegen Arce mit Unterstellungen und einer Klage wegen angeblicher »unrechtmäßiger Bereicherung«. Wie der lateinamerikanische Nachrichtensender Telesur meldete, will der MAS-Politiker an diesem Montag eine Strafanzeige gegen diejenigen erstatten, die ihn mit falschen Anschuldigungen diskreditieren wollen. Auch wenn das Verfassungsgericht am vergangenen Montag einen von rechten Politikern beim Obersten Wahlgericht (TSE) eingebrachten Antrag, der MAS die Teilnahme an den Wahlen zu untersagen, abgeschmettert hat: Die Linke fürchtet, dass sie abermals – wie schon vor einem Jahr – um den Sieg gebracht werden könnte.
Neben einer erneuten Einmischung der von den USA dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) könnte dies auch durch einen weiteren Staatsstreich erfolgen, warnt Morales. Der frühere Präsident hatte dem Regime am Mittwoch vorgeworfen, seit Januar 15,2 Millionen US-Dollar für neue Polizeiwaffen ausgegeben zu haben, während das Land unter einer Pandemie und schweren Wirtschaftskrise leidet. Das ist 18mal soviel wie im gesamten Jahr 2019, in dem 850.000 Dollar dafür aufgewendet worden waren. Vertreter der Áñez-Regierung rechtfertigten die Aufrüstung mit der »Notwendigkeit zur Verteidigung der Demokratie«. Rafael Quispe, der in der Putschregierung für die Verbindung zu den sozialen Bewegungen verantwortlich ist, wurde deutlicher. »Wenn wir unser Leben geben müssen, damit die MAS nicht zurückkehrt, werde ich es tun«, zitierte die kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina den Beamten am Donnerstag.
Die Äußerungen von Vertretern des Regimes erinnern an Meldungen der vergangenen Tage, wonach ultrarechte Paramilitärs mit Verbindung zur Polizei und Armee für den Fall einer Wahlniederlage Terroranschläge planen, die der MAS angelastet werden sollen. Damit sollen Einsätze gegen deren Anhänger und ein erneuter Putsch gegen eine gewählte linke Regierung ausgelöst werden. Am Sonnabend kündigte der stellvertretende De-facto-Minister für öffentliche Sicherheit, Wilson Santamaría, gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur ABI an, dass nach den Präsidentschaftswahlen »jede Art von Protest verboten sein wird«. Um das durchzusetzen werde die Regierung die Polizei und die Streitkräfte mobilisieren.
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