Vorauseilender Gehorsam
Die Schweiz hört auf EU und USA und spricht Sanktionen gegen Venezuela aus
Siro Torresan, „Vorwärts“, Schweiz
Die Schweiz sprach auf Befehl der EU gegen elf Personen aus Venezuela harte Sanktionen aus, obwohl sich diese nie eines Verbrechens schuldig gemacht hatten. Die ach so neutrale Schweiz unterstützt aktiv die unaufhörlichen Bemühungen ihrer wichtigen Handelspartner, die legitime Regierung in Venezuela gewaltsam zu stürzen.
Die von den Sanktionen betroffenen elf venezolanischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger haben in der Schweiz nicht mal einen Strafzettel fürs Falschparken bekommen, geschweige ein Gesetz gebrochen. Auch stehen sie nicht auf einer internationalen Fahndungsliste. Warum dann die Sanktionen? „Die Anpassung wurde im Nachgang an den Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 29.6.2020 beschlossen, durch welchen diese natürlichen Personen in der EU sanktioniert wurden“, so die Pressestelle des Staatsministeriums für Wirtschaft (Seco) auf Anfrage des „Vorwärts“. Konkret: Was auf Befehl von Washington in Brüssel beschlossen wurde, hat Bern eins zu eins übernommen, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt – und niemand scheint sich groß daran zu stören.
Was wird den betroffenen elf Personen vorgeworfen? Als Antwort verweist das Seco auf seiner Homepage auf ein Dokument in englischer Sprache – offensichtlich vom EU-Dokument kopiert und auf ein offizielles Papier des Seco eingefügt. Darin sind die Namen aufgelistet und man erfährt, dass die Gründe der Sanktionen ihre Funktionen im venezolanischen Staate sind! So befinden sich auf der Liste eine Staatsanwältin und ein Staatsanwalt, ein ranghoher Offizier der Armee, der 2. Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs des Landes sowie der Vorsitzende der nationalen Kommunikationsgesellschaft Conatel. Hinzu kommen der Präsident und die beiden Vizepräsidenten des 2015 demokratisch gewählten Parlaments, in dem die rechten Parteien über eine Mehrheit verfügen. Abgerundet wird die Liste mit den beiden aktuellen Vizepräsidentinnen und ihren Vorgängern der Verfassunggebenden Versammlung. Allen elf wird vorgeworfen, die „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ in Venezuela zu untergraben.
Bezeichnend ist auch die Tatsache, dass der Name des aktuellen Präsidenten des Parlaments auf der Liste steht. Er gehört der gemäßigten, rechtskonservativen Opposition an und ist somit ein erklärter Gegner Maduros. Eine Opposition, die jedoch zerstritten ist. Dies ist sicher auch ein Grund dafür, dass die USA auf den ultrarechten Hardliner Guaidó setzen – und mit ihnen offensichtlich auch die Schweiz.
Gesetzliche Grundlage für die Sanktionen ist laut Seco das Embargogesetz (EmbG). Dieses erlaubt, „Zwangsmaßnahmen zu erlassen, um Sanktionen durchzusetzen“, die unter anderem „von den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz beschlossen worden sind und die der Einhaltung des Völkerrechts, namentlich der Respektierung der Menschenrechte, dienen“.
Die „wichtigen Handelspartner“ sind in diesem Fall die USA und die EU. Sie versuchen seit Jahren mit völkerrechtswidrigen Sanktionen, Venezuela zu erdrosseln, um so die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen. Sanktionen, die selbst während der aktuellen Corona-Pandemie massiv verschärft worden sind.
So stellen selbst elf US-Senatoren in einem Brief an Außenminister Mike Pompeo und das US-Finanzministerium fest, dass „die US-Sanktionen die freie Zirkulation dringend benötigter medizinischer und humanitärer Hilfsgüter behindern, weil die Sanktionen eine breite lähmende Wirkung auf solche Transaktionen haben“, während von Sanktionen betroffene Länder wie Venezuela „kämpfen, um auf ihre nationalen Gesundheitskrisen zu antworten“.
Kürzung und redaktionelle Bearbeitung: Melina Deymann