Der »Entwicklung« geopfert
Südamerika: Gran-Chaco-Trockenwald von Ausbeutung und Bränden betroffen
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
Der Gran Chaco ist mit einer Ausdehnung von mehr als 1,1 Millionen Quadratkilometern in Argentinien, Paraguay, Bolivien und Brasilien nach dem Cerrado Lateinamerikas größtes Trockenwaldökosystem: Es ist ein Mosaik aus Savannen und Feuchtgebieten und der Lebensraum für Hunderte von Tierarten sowie Heimat von indigenen Völkern wie den Ayoreo, Chamacoco und den Wichie. Dennoch schreitet aufgrund von Sojabohnen- und Fleischexport die Vernichtung des Gran Chaco und damit auch die Vertreibung seiner Ureinwohner voran. Zudem kommt es während der Sommermonate häufig zu Waldbränden: Laut einem Bericht von Greenpeace Argentina brannten in den letzten beiden Augustwochen etwa 50.000 Hektar allein in der argentinischen Provinz Córdoba ab.
»Wir stehen vor einem regelrechten Ökozid«, beklagt die Umweltschutzorganisation. Zwischen 15. März und 31. Juli seien laut Greenpeace zudem fast 30.000 Hektar Chaco-Wald abgeholzt worden. Während sich die Agrarindustrie und internationale Investoren immer mehr Land unter die Nägel reißen, sprechen Organisationen zur Unterstützung von Indigenen wie etwa Survival International oder »Rettet die Naturvölker« von Genozid.
In einer 2018 vom Geographischen Institut der Humboldt-Universität veröffentlichten Studie heißt es dazu: »Im Gran Chaco breitet sich die industrialisierte Landwirtschaft zur Produktion von Rindfleisch und Sojabohnen besonders schnell aus, was die Region zu einem weltweiten Hotspot der tropischen Entwaldung hat werden lassen. Im Gegensatz zu anderen tropischen Wäldern wie dem Amazonas stehen jedoch nicht einmal zehn Prozent des Chaco unter Schutz.«
Besonders betroffen sind Argentinien und Paraguay, die mit 60 und 23 Prozent die größten Flächenanteile an dem Waldgebiet halten. Dem Umweltministerium in Buenos Aires zufolge hat das Land in den vergangenen zwei Jahrzehnten fünf Millionen Hektar seines Trockenwaldes eingebüßt. Der Biologe Raúl Montenegro von der Universität von Córdoba und Träger des alternativen Nobelpreises schätzt in einem Interview vom Samstag mit dem Umweltjournal Mongabay, dass bereits mehr als 30 des Ökosystems der Region in Argentinien vernichtet worden seien. Der Rest sei fragmentiert und zersiedelt: »Wir haben den Chaco in einen Schweizer Käse verwandelt«, so Montenegro.
Ein Ende der exportorientierten »Entwicklung« ist nicht in Sicht. Anfang des Jahres erklärte Jorge Capitanich, Gouverneur der argentinischen Provinz Chaco, in dieser werde in den nächsten zehn Jahren die Zahl der Rinder um 700.000 erhöht. Ein gemeinsamer Plan der Regierungen in Buenos Aires und Beijing sieht zudem die Ausweitung der Schweinefleischexporte nach China vor. Dazu ist der Bau von 25 Megaschweinemastanlagen mit jeweils 12.500 Sauen vorgesehen. Dies würde laut Regierungsangaben die Verdoppelung der Zahl der Mastschweine in Argentinien und eine Erhöhung der Fleischproduktion auf 900.000 Tonnen pro Jahr bedeuten.
Umweltschützer im Land wollen das verhindern: Etwa 400.000 Menschen haben Petitionen gegen das Vorhaben unterschrieben. Die mit chinesischen Investitionen finanzierten Tiermastbetriebe bedeuteten nicht nur eine erhebliche Umweltbelastung und Gesundheitsgefährdung. Die durch sie ausgelöste Nachfrage nach Mastfutter, vornehmlich Mais und Sojabohnen, führe auch zu einer Zunahme der Entwaldung und Landvertreibung im Gran Chaco.
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