»Haben erstes Plebiszit für Bolsonarismus«
Brasiliens Linke will bei Kommunalwahlen der Rechten empfindliche Niederlage beibringen. Ein Gespräch mit Guilhermo Boulos
Interview: Jorge Lopes
Guilhermo Boulos ist Bürgermeisterkandidat in der brasilianischen Metropole São Paulo für den linkssozialistischen Partido Socialismo e Liberdade
Sie kandidieren für den linkssozialistischen Partido Socialismo e Libertade, PSOL, im brasilianischen São Paulo. Dabei genießen Sie die Unterstützung unter anderem von der kommunistischen Partei PCB, aber auch aus den Reihen der Arbeiterpartei PT, die allerdings einen eigenen Kandidaten aufgestellt hat. In Umfragen erscheinen Sie als einziger linker Kandidat mit Aussicht auf einen Wahlerfolg im November. Was bedeutet das?
Die Kommunalwahl in São Paulo wird auf national so viel Gewicht haben wie selten zuvor. Die politische Entwicklung in der größten Stadt Lateinamerikas ist mit ihrer enormen Wirtschaftskraft immer von Bedeutung. Aber nach aktuellen Umfragen spitzt sich die Lage zu: Denn Präsident Jair Bolsonaro versammelt um sich eine radikale Anhängerschaft, er wird seit seiner Wahl in 2018 nun zum ersten Mal bei einer Abstimmung herausgefordert. Das bedeutet, dass wir es hier mit einem ersten Plebiszit für den Bolsonarismus zu tun haben, bei dem es darum geht, ihn zu besiegen oder zu stärken. Dies ist entscheidend für das Szenario 2021.
Um welche Themen geht es in Ihrem Wahlkampf?
Der ist geprägt von der Coronapandemie und der Gesundheitsversorgung. Die Wähler achten darauf, wie sich jeder Akteur in der Pandemie verhalten hat. Es geht verstärkt auch um Arbeitsplätze und die Wirtschaft. Es gibt in São Paulo erste Plünderungen durch Hungernde. Als wir beim PSOL unsere Kandidatur beschlossen haben, ging es vor allem um diese Themen. Wir haben jetzt die Chance, der Rechten eine empfindliche Niederlage beizubringen. Das wird sicher nicht einfach, aber möglich ist es. In São Paulo wird der amtierende rechtskonservative Bürgermeister Bruno Covas ziemlich sicher in die Stichwahl kommen. Die Frage ist, ob ihn dort ein linker Kandidat herausfordern wird oder jemand aus dem rechtsextremen Bolsonaro-Lager.
Leider ist uns in der Stadt keine progressive und linke Einheitskandidatur gelungen. Wir hatten das bei allen Unterschieden versucht und hätten damit viel bessere Chancen, in den zweiten Wahlgang zu kommen. Denn unser Ziel muss es in diesem Moment sein, die Rechte zu schlagen.
Kann ein Kandidat der radikalen Linken tatsächlich die Wahlen gewinnen?
Wir sind optimistisch, aber natürlich auch vorsichtig. Umfragen sehen uns auf dem dritten Platz, eine sogar schon auf dem zweiten. Mitte September begann der offizielle Wahlkampf. Wir haben viel weniger Sendezeit für unsere Wahlkampfspots im Fernsehen als die anderen, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Präsidentschaftswahl 2018 hat anderseits auch gezeigt, dass es auf solche Dinge nicht ankommen muss. Bolsonaro hat gewonnen, obwohl er kaum TV-Sendezeit hatte. Dafür hat er die »sozialen Netzwerke« manipuliert. Wir setzen eine reale Kampagne an der Basis dagegen und sind auch gut im Internet aufgestellt. Schon jetzt haben wir dort die Wahlkampfaktion mit den meisten Unterstützenden. Unsere größte Stärke: Unsere Kampagne weckt bei den Menschen Hoffnung darauf, dass Bolsonaro in der größten Stadt Brasiliens geschlagen werden könnte.
Bei unserem Sieg könnten wieder Themen auf die politische Agenda kommen, die von der Rechten negiert wurden: der Kampf gegen soziale Ungleichheit, für eine Politik zugunsten von Diversität und Mitbestimmung von unten, für einen Bürgerhaushalt, die Beteiligung der sozialen Bewegungen an der öffentlichen Politik – ohne Rassen-, Gender- oder Klassendiskriminierung. Wir setzen dort an, wo die progressiven Regierungen des Partido dos Trabalhadores der Partei der Arbeiter, aufgehört haben, und entwickeln von dort an weiter und wollen einen qualitativen Sprung machen und die Linke erneuern.
Und was für eine Kraft soll das sein?
Eine neue radikale Linke mit Basisverankerung und im Dialog mit den sozialen Bewegungen, die es schafft, eine kritische Bilanz der Vergangenheit zu ziehen, ohne sektiererisch zu sein. An meiner Seite kandidiert mit Luiza Erundina eine Kämpferin aus den Anfangszeiten des PT, die 1989 in Sao Paulo als erste linke Bürgermeisterin überhaupt die Wahlen gewann und für ihre Arbeit bis heute sehr respektiert wird.