Trumps Banküberfall
Politkrimi statt Konsens: Trump will seinen Kandidaten für die Interamerikanische Entwicklungsbank durchdrücken und spaltet damit Lateinamerika.
Von Sandra Weiss | 21.08.2020
„Banküberfall“, titelte das lateinamerikanische Nachrichtenportal Connectas. „Trump kennt nur zwei Optionen im Umgang mit multilateralen Institutionen – Rückzug oder Übernahme“, schrieb Michael Shifter vom Inter-American Dialogue in Foreign Policy. Worum es geht? Die neue Führung der BID wird gewählt, und diesmal ist alles anders als sonst. BID oder IDB steht für Lateinamerikanische Entwicklungsbank, ein Organ mit Sitz in Washington, das zur Weltbankgruppe gehört, zahlreiche Wirtschaftsstudien und -Statistiken veröffentlicht und immer wieder mit Krediten für umstrittene Großprojekte negativ auffällt, ansonsten aber im bürokratischen Grau internationaler Institutionen untergeht.
Die Wahl der Führungsriege war traditionell ähnlich unspektakulär wie bei der Fifa, weil die Besetzung immer schon Monate vorher auf dem diplomatischen Parkett ausgekungelt worden war. Doch dann verkündete US-Präsident Donald Trump vor zwei Monaten, er nominiere Mauricio Claver-Carone für den Präsidentenposten. Und das ließ die träge lateinamerikanische Diplomatie, die zu dem Zeitpunkt mehr mit Covid19-Impfstoffen und Medikamenten beschäftigt war, plötzlich heiß laufen.
Dazu muss man wissen: Die BID hat seit ihrer Gründung 1959 genau vier Präsidenten gehabt, einen Chilenen, einen Mexikaner, einen Uruguayer und seit 2005 den Kolumbianer Luís Alberto Moreno. Dieses Jahr machten sich der argentinische Jurist Gustavo Béliz und die costaricanische Expräsidentin Laura Chinchilla Hoffnungen – beide allerdings ohne finanzielle Expertise und ohne klare Favoritenrolle. Es gibt eine inoffizielle Absprache, dass Lateinamerika mit seiner kleinen Aktionärsmehrheit immer den Präsidenten stellt und die USA den Vizepräsidenten. Außerdem hat Washington ein paar informelle Veto-Rechte. Das, so Michael Shifter, sei kein bloßes Ritual, sondern die Strategie der US-Diplomatie, die Legitimität und Effektivität der Institution zu zementieren.
Claver-Carone ist der perfekte Vertreter der neuen „Knüppeldiplomatie“, die Trump vorschwebt.
Claver-Carone ist ein finanziell unbeleckter Anwalt kubanischer Herkunft, Sicherheitsberater von Trump, und gilt als ideologischer Hardliner. Die sozialistischen Bruderländer Kuba und Venezuela sind ihm ein Dorn im Auge, sie in die Knie zu zwingen gehört zu seinen Prioritäten. Er ist der perfekte Vertreter der neuen „Knüppeldiplomatie“, die Trump vorschwebt. (Vor 100 Jahren weitete der damalige US-Präsident Theodore Roosevelt mit der „Big-Stick-Policy“ den Einfluss der USA aus. Diplomatie wurde nicht nur verbal betrieben, sondern mit unverhohlener Militärmacht und wirtschaftlicher Erpressung gepaart.)
Claver-Carone würde die Polarisierung Lateinamerikas verschärfen. „Er soll Trumps Sicherheitsagenda vorantreiben“, schreibt Maria Camila Hernández in „connectas“. Mit der Wahl des Exilkubaners will Trump ihrer Ansicht nach außerdem Pluspunkte in Florida sammeln, dem Heimatstaat Claver-Carones und einem Schlüsselstaat für die US-Präsidentschaftswahl. Doch um den Preis der Politisierung einer Finanzinstitution in einem fatalen Moment für das von der Pandemie gesundheitlich und wirtschaftlich schwer gebeutelte Lateinamerika.
Die BID wird bei der Kreditvergabe in der Post-Covid-Ära eine nicht unwichtige Rolle spielen. Sie ist das größte Finanzinstrument für Entwicklungsprojekte in Lateinamerika mit einem durchschnittlichen Portfoliovolumen von 37 Milliarden US-Dollar an Eigenmitteln und zwei Milliarden Dollar an Drittmitteln. Claver-Carone hat in Interviews wenig Zweifel daran gelassen, dass er die Bank als Instrument sieht, den geopolitischen Einfluss Chinas zu bremsen. Lateinamerikanische Diplomaten fürchten außerdem, er könne die Kredite an politische Bedingungen knüpfen und linksprogressive Regierungen bestrafen.
Lateinamerika driftet schon seit einigen Jahren ideologisch auseinander. Das Ende der rosaroten Welle, das in der umstrittenen Amtsenthebung der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff im August 2016 gipfelte, hat zu einem ultrakonservativen Rückschlag geführt. Von Guatemala und Honduras über Bolivien und Kolumbien bis Brasilien regieren derzeit Staatschefs, die am liebsten das Rad der Geschichte zurückdrehen würden und die Gesetze zur Gleichberechtigung von Indigenen, Homosexuellen und Frauen, Legalisierung von Marihuana, Quoten für Minderheiten an Universitäten und Umweltschutzauflagen aushöhlen oder unterlaufen.
Doch „Lateinamerika gibt sich nicht kampflos geschlagen“, wie Shifter schrieb. Die Gegenoffensive wurde argentinischen Medien zufolge in Buenos Aires gestartet. Dort führt seit kurzem der linksperonistische Präsident Alberto Fernández das Ruder. Er habe, so das Portal Infobae, seinen mexikanischen Kollegen Andrés Manuel López Obrador angerufen. Die beiden stehen in regelmäßigem Kontakt – unter anderem vermittelte López Obrador bei den Umschuldungsverhandlungen zwischen Argentinien und dem US-Investmentfonds Blackrock – und sehen sich als Achse der progressiven Demokratien in Lateinamerika.
Als sie sich einig waren, habe Fernández den EU-Chefdiplomaten Josep Borrell per Telefon mit ins Boot geholt. Und als vierter kam Chiles konservativer Staatschef Sebastián Piñera dazu, anschließend zogen Costa Rica und Peru nach. Zusammen schlugen sie vor, die Wahlen vom 12. September auf März 2021 zu verschieben. Offzielles Argument: Die Pandemie und eine gründliche Debatte über die Neuorientierung und Rolle der BID beim Wiederaufbau. Inoffizielles Kalkül: Dass Trump die Wahlen im November verliert und Claver-Carone dann vom Tisch ist.
Doch das reicht bislang nicht. Um gewählt zu werden, braucht ein Bewerber den Rückhalt von mindestens 15 der 28 Mitgliedsländer und eine absolute Mehrheit der Stimmen, die an den Aktienanteilen gemessen werden. 16 Länder hat Claver-Carone beisammen, darunter Kolumbien, Honduras, Brasilien, Guyana, Guatemala, Haiti, Bolivien, Ecuador, Paraguay, Uruguay, El Salvador, Panama und Jamaika – Länder, die ideologisch auf derselben Linie sind oder stark wirtschaftlich von den USA abhängen. Auch Venezuela, das 6 Prozent der Anteile hält und von einem Entsandten des bürgerlichen Oppositionsführers Juan Guaidó repräsentiert wird, unterstützt Claver-Carone.
Der Ausgang des diplomatischen Tauziehens ist offen, Schäden sind vorprogrammiert.
Beim Stimmenanteil sieht es ebenfalls gut für ihn aus – alleine die USA stellen 30 Prozent, die Verbündeten 23,9 Prozent, die Gegner 22 Prozent. Ihre einzige Hoffnung ist deshalb, dass das Quorum nicht erreicht wird und die USA daher einwilligen, die Abstimmung zu verlegen. Denn nur wenn 75 Prozent des Einlagekapitals präsent sind, kann gewählt werden. Und hier kommen Kanada (4 Prozent), Japan (5 Prozent) und Europa ins Spiel, die ebenfalls Anteile halten. Die EU hat sich für eine Verschiebung ausgesprochen, hat aber als Institution kein Stimmrecht. Es müssten also die Geberländer Italien, Spanien, Deutschland, Frankreich und Portugal mitspielen, die alle jeweils zwischen ein und zwei Prozent halten. Doch noch haben sich die betroffenen Regierungen nicht geäußert.
Beide Seiten fahren grobes Geschütz auf. Claver-Carone lockt die Länder mit einer Kapitalerhöhung und damit mit der Aussicht auf mehr Kreditvolumen. Außerdem verspricht er, dass vom Re-Shoring, wenn also US-amerikanische Unternehmen ihre Produktion aus China abziehen, vor allem Lateinamerika profitieren wird. Mexiko und Argentinien hingegen, die zusammen mit Astro Zeneca einen Covid-Impfstoff produzieren werden, locken mit Vorzugsbedingungen beim Erwerb desselben. Perus Präsident versucht außerdem, den mit ihm befreundeten kanadischen Premierminister Justin Trudeau mit ins Boot zu holen. Kanada stimmt üblicherweise mit den USA, doch Trudeaus Beziehungen zu Trump sind nicht die allerbesten.
Der Ausgang des diplomatischen Tauziehens ist offen, Schäden sind vorprogrammiert. „Kann Trump Claver-Carone nicht durchsetzen, ist das ein blaues Auge und ein Zeichen seines sinkenden Einflusses“, so Benjamin Gedan, Direktor des Argentinien-Projekts des Wilson-Zentrums in Washington. „Setzt sich Claver-Carone durch und Trump verliert die Wahlen, wäre die BID in den nächsten fünf Jahren in der Hand einer Person ohne jeglichen politischen Rückhalt.“