Alarmierte Machthaber
Putschistenregime in Bolivien setzt auf juristische Verfolgung linker Aktivisten. Strafanzeige gegen Morales
Von Volker Hermsdorf
Das Putschistenregime in Bolivien versucht durch verschärfte Repression, linke Politiker, Gewerkschafter und Vertreter sozialer Bewegungen kaltzustellen. Nach landesweiten Protesten und einem Generalstreik, durch den ein Gesetz erzwungen wurde, das die mehrfach verschobenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zwingend für den 18. Oktober vorschreibt, hat die De-facto-Regierung der selbsternannten Interimspräsidentin Jeanine Áñez weiter an Akzeptanz verloren. Die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina berichtete am vergangenen Montag, dass der Anteil jener, die den Spitzenkandidaten der früheren Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS), Luis Arce, unterstützen, von 48 Prozent im Mai auf nunmehr 53 Prozent angewachsen ist. Das alarmiert die Machthaber.
Am Donnerstag (Ortszeit) erklärte der stellvertretende Innenminister des Regimes, Javier Issa, dass Generalstaatsanwalt Juan Lanchipa 33 Strafverfahren gegen Oppositionelle eingeleitet habe. Laut Issa werden Anführer und Kandidaten der MAS, sowie Juan Carlos Huarachi, Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbands COB, und Orlando Gutiérrez, Vorsitzender der Minenarbeitergewerkschaft, per Haftbefehl gesucht. Die Putschisten verfolgten ihre politischen Gegner, weil sie vor dem nun gesetzlich garantierten Wahltermin, »die Stimme des Volkes zum Schweigen bringen und die Anführer der Opposition einschüchtern wollen«, zitierte der Nachrichtensender Telesur Gutiérrez.
Auch der im November 2019 per Staatsstreich gestürzte Präsident Evo Morales, derzeit im argentinischen Exil, gerät immer wieder ins Fadenkreuz. Nachdem er bereits wegen »Terrorismus und Finanzierung terroristischer Aktivitäten« angeklagt worden war, stellte das Justizministerium am Donnerstag (Ortszeit) Strafanzeige wegen der mutmaßlichen Beziehung des Expräsidenten zu einer Jugendlichen. Die heute 19jährige Frau hatte laut dpa erklärt, dass sie Morales im Alter von 16 Jahren kennengelernt und später, als sie bereits volljährig war, eine Beziehung zu ihm unterhalten habe. Dies sei dem Onlineportal Nodal zufolge bekannt geworden, nachdem die junge Frau im Juli zusammen mit ihrer Familie von Kräften der De-facto-Regierung festgenommen und ihr Telefon beschlagnahmt worden war. Quelle für die von Agenturen weltweit gestreute Meldung über eine angeblich illegitime Liebesbeziehung zu Morales ist das – für die Verbreitung von Fake News bekannte – in Madrid herausgegebene ultrarechte Onlinemagazin Okdiario.
Unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen gegen Morales, MAS-Politiker und Gewerkschafter gehören negative Schlagzeilen zu einer US-gestützten globalen Medienkampagne. Wie das Onlineportal Bolnews.press berichtete, hatte die De-facto-Regierung bereits kurz nach dem Putsch die einschlägig bekannte Beratungsfirma »CLS Strategies« mit Sitz in Washington mit einer »Imagekampagne« beauftragt. Das Portal veröffentlichte auf Facebook einen von De-facto-Innenminister Arturo Murillo unterzeichneten Vertrag mit der Firma. Danach hat das Regime dem mit dem US-Außenministerium und der CIA kooperierenden Unternehmen von Dezember 2019 bis Anfang März 2020 täglich 1.000 US-Dollar aus staatlichen Mitteln für »strategische Kommunikationsdienstleistungen« gezahlt. Für eine Gesamtsumme von 90.000 Dollar sollten die Berater »Lobbyarbeit« leisten und das Regime dabei unterstützen, »spezifische Botschaften« für die Massenmedien zu produzieren und weltweit zu verbreiten.
Die US-Experten verfügen über entsprechende Erfahrungen. Nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya in Honduras (2009) hatte CLA Strategies eine globale Kampagne zur Rechtfertigung des Staatsstreichs und des von Washington unterstützten Putschpräsidenten Roberto Micheletti organisiert. Auch der ultrarechte kolumbianische Expräsident Álvaro Uribe hatte wiederholt auf die Dienste der US-Beraterfirma zurückgegriffen.
https://www.jungewelt.de/artikel/384882.bolivien-alarmierte-machthaber.html