Ins Abseits
Venezuela: Teile der rechten Opposition boykottieren Parlamentswahl. Linkes Bündnis will Basisdemokratie stärken
Von Frederic Schnatterer
Vier Monate vor der geplanten Parlamentswahl in Venezuela macht ein Teil der rechten Opposition wahr, was er sowieso schon angekündigt hatte. Wie aus einer am Sonntag (Ortszeit) veröffentlichten Mitteilung hervorgeht, wollen 27 Parteien und Organisationen die Abstimmung am 6. Dezember boykottieren. Zur Begründung heißt es in der Erklärung, Präsident Nicolás Maduro werde keinen freien und fairen Wahlkampf zulassen, weshalb man sich »einstimmig« dazu entschlossen habe, »nicht am Wahlbetrug teilzunehmen, den das Regime von Maduro organisiert«.
Der vorhersehbare Schritt bedeutet für die radikalsten Teile der Opposition einen Verlust nicht nur lukrativer Mandate, sondern auch des letzten verbliebenen Rests von demokratischer Legitimation. Die Nationalversammlung war seit der Wahl 2015 die einzige Institution in Venezuela, in der die Rechte über eine Mehrheit verfügte. Auch der selbsternannte »Übergangspräsident« Juan Guaidó zieht die vermeintliche Legitimität seines »Amtes« aus der von ihm bis Anfang dieses Jahres ausgeübten Funktion des Parlamentspräsidenten – ein Mandat, das er trotz verlorener Abstimmung im Januar weiterhin innezuhaben vorgibt.
Auch wenn die 27 Formationen in ihrer Erklärung den Wahlboykott als »neue demokratische Offensive für die Rettung Venezuelas« bezeichnen, dürfte der Schritt die extreme Rechte des Landes noch weiter ins politische Abseits befördern. Das ist Teilen der Opposition durchaus bewusst. Zwar stehen unter der am Sonntag veröffentlichten Erklärung die Namen der vier wichtigen Parteien Voluntad Popular – der auch Guaidó angehört –, Primero Justicia, Acción Democrática sowie Un Nuevo Tiempo, neben denen von 23 weiteren Organisationen. Doch obwohl die Unterzeichner der Mitteilung den Anspruch haben, die Gesamtheit des oppositionellen Lagers zu repräsentieren, was auch westliche Medien gern hervorheben, handelt es sich bei ihnen nicht einmal um dessen Mehrheit.
Insgesamt 105 Parteien und Wahllisten hat der Nationale Wahlrat (CNE) bislang für die Abstimmung am 6. Dezember zugelassen. Mehrere rechte Oppositionsparteien verfügen über zersplitterte Führungen mit unterschiedlichen Positionen. Beispielhaft dafür steht Primero Justicia, die in drei Fraktionen gespalten ist. Vor einigen Wochen sprach der Oberste Gerichtshof derjenigen von José Brito die rechtmäßige Parteiführung zu. Bei der Wahl am 6. Dezember wird dieser Teil von Primero Justicia antreten, während die Fraktion um Julio Borges fest an der Seite des »Interimspräsidenten« Guaidó steht.
Eine dritte Position innerhalb von Primero Justicia nimmt der Oppositionspolitiker Henrique Capriles Radonski, zweifacher Präsidentschaftskandidat sowie ehemaliger Gouverneur des Bundesstaates Miranda, ein. Am vergangenen Donnerstag erklärte er über die sogenannten sozialen Medien, die Oppositionsführung habe die Gegner Maduros ins Abseits manövriert – »die schlechteste Lage seit 20 Jahren«. »Wir müssen aus dem großen Widerspruch Regierung versus Phantasie herauskommen. Sollen wir wirklich so weiterregieren, im Internet? Ich bitte Sie!« – Eine eindeutige Anspielung auf die Machtlosigkeit der »Interimsregierung« von Guaidó.
Wie bei Capriles wächst auch in weiteren Teilen der Opposition die Kritik am von Guaidó und den hinter ihm stehenden Staaten, insbesondere den USA, verfolgten Kurs. Erst am vergangenen Dienstag hatte Washington die eigene Position bekräftigt. So erklärte der »Sonderbeauftragte für Venezuela« des State Departments, Elliot Abrams: »Die Bedingungen für freie und faire Wahlen sind noch viel schlechter als im Mai 2018, als Maduro die Präsidentschaftswahlen abhalten ließ.« Statt auf Dialog mit der Regierung setzen die Vereinigten Staaten also auch weiterhin auf Konfrontation.
Doch auch auf seiten der Linken tut sich vier Monate von dem geplanten Abstimmungstermin etwas. Ende vergangener Woche gründete sich mit der »Revolutionären Allianz des venezolanischen Volkes« (ARPV) ein neues Wahlbündnis, das unabhängig von der Regierungspartei PSUV ist. Auf einem Treffen in Caracas erklärten unter anderem die Kommunistische Partei (PCV) sowie Patria Para Todos (PPT), am 6. Dezember gemeinsam mit kämpferischen sozialen Bewegungen antreten zu wollen. Es gehe ihnen nicht nur um den Kampf für Arbeiterrechte, sondern insbesondere auch um die Stärkung basisdemokratischer Strukturen, so Vertreter der ARPV in einer Erklärung.
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