Lizenz zum Stehlen
Britisches Gericht in London: Bank of England muss venezolanisches Gold nicht an Regierung zurückgeben. Caracas kündigt Berufung an
Von Volker Hermsdorf
Wirtschaftskrieg mit allen Mitteln: Die Bank of England wird das von der Regierung Venezuelas bei ihr eingelagerte Gold nicht an diese zurückgeben. Der Oberste Gerichtshof Großbritanniens entschied am gestrigen Donnerstag, 31 Tonnen des Edelmetalls im Wert von rund einer Milliarde US-Dollar (900 Millionen Euro) statt dessen dem Lager des selbsternannten »Interimspräsidenten« Juan Guaidó zur Verfügung zu stellen.
Das Gericht habe keine andere Entscheidungsmöglichkeit gesehen, da das Vereinigte Königreich den Oppositionspolitiker formaljuristisch als Staats- und Regierungschef betrachte, begründete Richter Nigel Teare das Urteil. Die Anwälte Venezuelas kündigten Berufung an und nannten die Entscheidung »absurd«. Zwar unterstütze London, wie rund weitere 50 der 193 UN-Mitgliedsländer, formal Guaidó, unterhalte faktisch jedoch Beziehungen zu der von Nicolás Maduro geführten tatsächlichen Regierung, erklärten sie. Unter anderem leite ein von Maduro ernannter Diplomat Venezuelas Vertretung in London, während Großbritannien seinerseits durch einen Botschafter in Caracas vertreten wird.
Venezuela hatte das Verfahren beantragt, nachdem die Bank of England die bei ihr eingelagerten venezolanischen Goldreserven unter Berufung auf britische und US-Sanktionen blockiert hatte. Wie die BBC berichtet, hatten die USA zuvor »Banken, Broker, Händler und Vermittler« gewarnt, »nicht mit Gold, Öl oder anderen Rohstoffen zu handeln, die dem venezolanischen Volk von der Maduro-Mafia gestohlen« worden seien. Ende Juni hatten verschiedene Medien Carlos Vecchio, den Vertreter Guaidós in Washington, mit der Aussage zitiert, dass Teile der von diesem geführten Oppositionsgruppen Gespräche mit dem US-Justizministerium führen, um an Vermögenswerte der venezolanischen Regierung zu kommen.
Durch die Entscheidung des britischen »High Court« wird die Regierung des gewählten Präsidenten Maduro jetzt daran gehindert, 31 Tonnen des in Londoner Tresoren gelagerten Goldes zu verkaufen. Maduro hatte angekündigt, mit dem Erlös Maßnahmen für den Kampf gegen die weitere Ausbreitung des Coronavirus zu finanzieren. Caracas hatte vorgeschlagen, die Mittel an das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) zu überweisen, das damit den Kauf von Medikamenten und medizinischer Ausrüstung zur Bekämpfung der Pandemie organisieren und die Verwendung überwachen sollte.
Mit dem gestrigen Urteil wird die Position der US-Regierung gestärkt, deren Ziel es ist, die Wirtschaft Venezuelas zu erdrosseln. Die Auswirkungen auf die Bevölkerung und das Gesundheitssystem sind angesichts der Coronakrise derzeit noch nicht absehbar. Nachdem die Ölexporte, die bisherige Haupteinnahmequelle des Landes, im Juni in Folge verschärfter US-Sanktionen auf den niedrigsten Stand seit 1943 gefallen waren, fehlt es an Devisen für den Import von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Gütern des täglichen Bedarfs.
Laut Reuters musste im vergangenen Monat ein halbes Dutzend Tanker die venezolanischen Hoheitsgewässer ohne Landung wieder verlassen, weil sie »die Bedrohung durch US-Sanktionen vermeiden wollten«. Damit hätten sich die Ausfuhren gegenüber dem Vormonat um weitere 18 Prozent verringert, so die Agentur am Mittwoch. Mit den Maßnahmen gegen Reedereien versucht Washington, Venezuela systematisch auszuhungern, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch herbeizuführen.
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