Diplomatie mit Widersprüchen
Venezuela: EU schützt Drahtzieher der Söldnerinvasion und unterstützt Kooperation von Maduro und Opposition
Von Volker Hermsdorf
Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza hat Frankreich und Spanien aufgefordert, die rechten Oppositionspolitiker Leopoldo López und Juan Guaidó auszuliefern. Guaidó halte sich derzeit in der Botschaft Frankreichs auf, erklärte Arreaza am Donnerstag (Ortszeit) in einem Interview des Senders Union Radio. Die französische Botschaft dementierte. López hatte sich bereits vor gut einem Jahr aus dem Hausarrest in die Vertretung Spaniens abgesetzt. Beiden Politikern, die dem extrem rechten Spektrum der Partei »Voluntad Popular« (Volkswille, VP) angehören, wird unter anderem die Beteiligung an der »Operation Gideon« vorgeworfen, bei der Anfang Mai ein Invasionsversuch schwerbewaffneter Söldner gescheitert war.
Es sei eine »Schande für die Diplomatie«, dass europäische Vertretungen die Drahtzieher der völkerrechtswidrigen Aktion davor bewahren, sich für die ihnen zur Last gelegten Vergehen vor einem Gericht verantworten zu müssen, sagte Arreaza. Er warf der EU eine »widersprüchliche Position« zu Venezuela vor. Während zahlreiche ihrer Mitgliedsländer offiziell nur den selbsternannten »Interimspräsidenten« Guaidó als Staatschef Venezuelas anerkennen, erklärte am Donnerstag der Hohe Vertreter der EU für Außenpolitik, Josep Borrell, Brüssel unterstütze eine Vereinbarung zwischen der Regierung des gewählten Präsidenten Nicolás Maduro und Teilen der Opposition über ein gemeinsames Vorgehen in der Coronakrise. Der Dialog zwischen den Parteien sei »von grundlegender Bedeutung, um dem venezolanischen Volk zu helfen«, sagte Borrell. Der EU-Vertreter schloss sich damit dem UN-Generalsekretär António Guterres an, der die Vereinbarung zuvor bereits begrüßt und den weiteren Dialog gefordert hatte.
Über Details des Abkommens, das vom venezolanischen Gesundheitsminister Carlos Alvarado, dem Coronabeauftragten der von der Opposition dominierten Nationalversammlung, Julio Castro, und einem Vertreter der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO) unterzeichnet worden war, hatte Venezuelas Kommunikationsminister Jorge Rodríguez am Dienstag im staatlichen Fernsehsender VTV berichtet. Wie der Politiker mitteilte, hat sich ein aus vier Parteien (Voluntad Popular, Primero Justicia, Acción Democrática und Un Nuevo Tiempo) bestehender und deshalb »G4« genannter Teil der Opposition darin bereit erklärt, mit der Regierung und der PAHO zusammenzuarbeiten. Dabei gehe es unter anderem darum, Gelder zur Bekämpfung der Pandemie zu akquirieren. Die Unterzeichner wollen auch bei der Durchführung von Tests und Diagnosen, der Behandlung von Infizierten, bei Maßnahmen zur Infektionsprävention und dem Schutz des Gesundheitspersonals kooperieren.
Während UNO und EU sowie gemäßigte Oppositionspolitiker das Abkommen als mögliches Startsignal für einen weiteren Dialog zur Lösung der politischen Krise lobten, kritisierten andere rechte Gruppierungen, dass damit die Regierung von Maduro anerkannt worden sei und Guaidós »Übergangsregierung« weiter an Glaubwürdigkeit verloren habe.
Obwohl die offiziellen Zahlen im Vergleich zu den Nachbarländern noch relativ niedrig sind, hält die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Venezuela in der Coronakrise für »eines der verwundbarsten Länder in Lateinamerika«. Zur Notlage der Bevölkerung tragen vor allem die ständig verschärften Sanktionen durch die USA und die EU sowie die Blockade der venezolanischen Gold- und Währungsreserven im Ausland bei. Die PAHO erwartet, dass mit dem Abkommen jetzt endlich die bei ausländischen Banken eingefrorenen Vermögenswerte freigegeben und im Land eingesetzt werden können.
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