Aufstand gegen Bolsonaro
Gegen Rassismus und Faschismus: Proteste gegen Regierung in Brasilien weiten sich aus. Staat setzt Tränengas und Gummigeschosse ein
Von Volker Hermsdorf
In Brasilien weiten sich die seit Tagen laufenden Proteste gegen den faschistischen Präsidenten Jair Bolsonaro weiter aus. Am Wochenende sind in zahlreichen Städten erneut Zigtausende auf die Straße gegangen. Trotz des zum Teil brutalen Auftretens staatlicher Einsatzkräfte protestierten die Demonstranten in der Hauptstadt Brasília, in Rio de Janeiro, São Paulo und anderen Städten mit Transparenten gegen »Rassismus und Faschismus« und die »Vernichtungspolitik der Regierung«. In Rio de Janeiro nahm die Polizei etliche Teilnehmer fest, als sich die Familie eines zwölfjährigen Jungen, der vor einigen Tagen bei einem Einsatz der Militärpolizei in einer Favela getötet worden war, den Demonstranten anschloss. In São Paulo hatten neben Gewerkschaftern, sozialen Gruppen und Aktivisten der schwarzen Bürgerrechtsbewegung auch die organisierten Fans der vier großen örtlichen Fußballclubs zum Protest aufgerufen. Laut Agenturberichten setzte die Polizei Tränengas und nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International auch Gummigeschosse ein.
Bolsonaro gab sich unbeeindruckt, folgte in der Wortwahl seinem Vorbild, dem US-Präsidenten Donald Trump, und bezeichnete die Aktivisten der in Brasilien ebenfalls erstarkenden Bewegung »Black Lives Matter« als »kiffende Terroristen«. Teilnehmer der landesweiten Aktionen beschimpfte der Staatschef als »Arbeitslose, die Brasilien bedrohen«.
Neben der Verfolgung politischer Gegner, der Verschärfung des Polizeiterrors und der Zerstörung des Regenwaldes wird Bolsonaro auch die Verharmlosung der Coronapandemie vorgeworfen. Der Präsident spricht von einer »leichten Grippe«, lehnt Schutzmaßnahmen ab und drohte damit, die Mitgliedschaft in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufzukündigen. Seit Anfang der Woche veröffentlicht die brasilianische Regierung nicht mehr die Gesamtzahlen der Coronafälle, sondern nur noch die neu Infizierten und Toten der letzten 24 Stunden. Nach den am Wochenende zuletzt veröffentlichten Daten der Johns-Hopkins-Universität hat Brasilien mit derzeit knapp 692.000 Fällen nach den USA die zweithöchste Zahl an Coronainfektionen und mit rund 37.000 nach den USA und Großbritannien weltweit die meisten Todesfälle zu beklagen.
Bereits vor der Covid-19-Pandemie war das Gesundheitssystem des Landes kollabiert, nachdem Bolsonaro bei seinem Amtsantritt im Januar 2019 die Beendigung einer Kooperation mit Havanna im Gesundheitswesen provoziert hatte und rund 8.000 kubanische Ärzte das Land verlassen mussten. Seitdem leidet vor allem die Bevölkerung in ländlichen Regionen und Armenvierteln unter den Folgen des Ärztemangels. Dort ist auch die Zahl der mit dem Coranavirus Infizierten und der Todesfälle überproportional hoch. »Wir wehren uns gegen Faschismus, den Völkermord an den Armen und den Schwarzen in den Vierteln an der Peripherie und auch gegen die Gewalt gegen Frauen, die unter Bolsonaro ständig zunimmt«, zitierte der lateinamerikanische Nachrichtensender Telesur die Leiterin der Bewegung der wohnungslosen Arbeiterinnen und Arbeiter (MTST) in São Paulo, Claudia Rosane Garcez. Während die Zahl der überwiegend aus der weißen Oberschicht stammenden Bolsonaro-Anhänger bei einigen kleinen Demonstrationen am Wochenende lediglich im zwei- bis dreistelligen Bereich lag, könnte sich der Protest gegen den US-freundlichen Staatschef in den nächsten Wochen zu einem landesweiten Aufstand entwickeln.
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