Militarisierung im Hinterhof
USA rüsten in Lateinamerika weiter auf und setzen dabei auf verstärkte Kooperation mit Brasilien und Kolumbien
Von Volker Hermsdorf
Hintergrund: US-Militär in Lateinamerika
Die USA verfügen über den größten Militärhaushalt der Welt. Im Haushaltsjahr 2020 wurde der Etat um 22 auf insgesamt 738 Milliarden US-Dollar aufgestockt. Davon sind 71,5 Milliarden US-Dollar (etwa 64 Milliarden Euro) für Auslandseinsätze vorgesehen. Zehn Prozent der weltweit rund 800 US-Stützpunkte befinden sich in Lateinamerika, neun davon in Kolumbien. Im Juli 2008 hatte der damalige US-Präsident George W. Bush zudem die bereits ausgemusterte 4. Flotte der US-Marine aktiviert. Einsatzgebiet des dem Südkommando der US-Streitkräfte (»Southcom«) unterstellten Flottenverbandes sind die Karibik sowie Zentral- und Südamerika. Das seit November 2018 von Admiral Craig Faller geführte Südkommando ist für die Koordinierung und Führung aller militärischen Operationen in dieser Region zuständig.
Bogotá nimmt in den strategischen Planungen der USA eine Schlüsselrolle ein. 2018 hatte Kolumbien als bisher einziges Land in Lateinamerika eine »Vereinbarung zur Zusammenarbeit und Verteidigung« mit der NATO unterzeichnet. Ihm wurde der spezielle NATO-Status eines »Global Partner« zugesprochen. Damit könnten europäische NATO-Staaten in militärische Konflikte hineingezogen werden. US-Präsident Donald Trump bot Anfang 2019 auch Brasilien die NATO-Mitgliedschaft an, wurde jedoch vom Brüsseler Hauptquartier mit dem Hinweis zurückgepfiffen, dass die Aufnahme weiterer nichteuropäischer Länder nicht vorgesehen sei. Daraufhin erklärte Trump Brasilien »zum wichtigen strategischen Verbündeten außerhalb der NATO«.
Faktisch haben die Präsidenten Brasiliens und Kolumbiens die Streitkräfte ihrer Länder längst dem US-Südkommando unterstellt, das bereits seit Jahren den Einsatz gegen Venezuela übt. So fand im Juni 2017 das multinationale Militärmanöver »Tradewinds 2017« mit 2.500 Militärangehörigen aus 15 Staaten der Region und einigen NATO-Ländern nur 30 Kilometer vor der venezolanischen Küste statt. Als der damalige Southcom-Befehlshaber Kurt Tidd die Übung als »Vorbereitung auf humanitäre Hilfseinsätze« rechtfertigte, erinnerten Kritiker an die von Washington organisierten Kriege in Jugoslawien, dem Irak, Libyen und Syrien, die unter dem Vorwand »humanitärer Einsätze« begonnen wurden. Ende 2017 durften US-Truppen sich bei dem von Southcom geleiteten Manöver »Amazonlog 17« zum ersten Mal in der Geschichte an einer militärischen Übung im Amazonasgebiet beteiligen. Nach offizieller Darstellung sollten auch dabei »humanitäre Hilfsmaßnahmen« geübt werden. So wie im Januar 2018, als Angehörige der US-Luftwaffe bei der Southcom-Übung »Neue Horizonte« (Nuevos Horizontes) in Panama vorgaben, für »humanitäre Einsätze« in Ländern, deren »innere Stabilität« gefährdet sei, zu trainieren. (vh)
Während das Coronavirus die Medien beschäftigt, treibt Washington fast unbemerkt von der Öffentlichkeit die Militarisierung einer Region voran, die im Januar 2014 von der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) zu einer »Zone des Friedens« deklariert worden war. Zu den erklärten Zielen der USA gehören hingegen der Sturz der Regierungen von Venezuela und Nicaragua, ein sogenannter Regime-Change in Kuba sowie das Zurückdrängen des Einflusses von Russland und China. Bei der Planung von militärischen Aktionen setzt das Pentagon auf die Kooperation mit den ultrarechten Regimen in Brasilien und Kolumbien.
Die Bewältigung der »Krise in Venezuela« sei für seine Regierung »ein großes Thema«, erklärte US-Präsident Donald Trump seinem kolumbianischen Amtskollegen Iván Duque am 2. März im Oval Office des Weißen Hauses. Der Gast aus Bogotá verstand den Hinweis und forderte folgsam »härtere Sanktionen gegen das Regime von Nicolás Maduro«. Kolumbien und die USA müssten zusammenarbeiten, versicherte er Trump, »damit es in Venezuela einen politischen und demokratischen Übergang gibt«. Die Anwesenheit der Verteidigungsminister Mark Esper (USA) und Carlos Holmes Trujillo (Kolumbien) ließ ahnen, was damit gemeint war. Sechs Wochen zuvor hatte US-Außenminister Michael Pompeo bei einem Besuch in Bogotá bereits die »aktive Rolle« Kolumbiens bei einer »langfristigen Sicherheitspartnerschaft« in der Region gefordert. Das Land müsse zum »Fahnenträger« des »gemeinsamen Engagements für Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte in dieser Hemisphäre« werden, hatte Pompeo am 20. Januar in der Hauptstadt des Landes erklärt, dem UN-Sonderberichterstatter Michel Forst in einem Bericht kürzlich weiterhin die »höchste Zahl ermordeter Menschenrechtsverteidiger in Lateinamerika« bescheinigte.
Duque versicherte in seiner Antwort, die »historische Partnerschaft« dadurch zu stärken, dass »wir die Freiheit in der Schwesterrepublik Venezuela verteidigen«. Einen Tag nach dem Auftritt von Pompeo in Bogotá lief das Kriegsschiff »USS Detroit« vom US-Navy-Stützpunkt in Curaçao aus und drang in venezolanische Hoheitsgewässer ein. Das von der venezolanischen Küstenwache abgedrängte Spezialschiff für küstennahe Gefechtsführung habe die Aufgabe gehabt, Informationen zu sammeln, und sei auch als Warnung an Maduro gedacht gewesen, erklärte der Befehlshaber des Südkommandos der US-Streitkräfte »Southcom«, Admiral Craig Faller, zu diesem Zwischenfall gut eine Woche später vor dem Senatsausschuss für Streitkräfte im Kongress der USA. In seiner Stellungnahme teilte Faller mit, die Partner Washingtons seien nicht nur wegen der Situation in Venezuela besorgt, sondern fühlten sich auch durch die Aktivitäten von Russland, China und Kuba in der Region bedroht. Der Southcom-Chef forderte den Kongress auf, den Haushalt für Militäreinsätze des Südkommandos aufzustocken, um für die »Herausforderungen in der Hemisphäre« gerüstet zu sein.
Neben Kolumbien ist Brasilien dabei der wichtigste Partner Washingtons. Dessen faschistischer Staats- und Regierungschef Jair Bolsonaro unterzeichnete am 9. März ein Militärabkommen mit den USA, das »gemeinsame Verteidigungsprojekte« vorsieht, um »die regionalen Bedrohungen zu bekämpfen«. Während seines Besuchs war Bolsonaro unter anderem von US-Präsident Trump empfangen worden. Im Southcom-Hauptquartier in Doral, Florida, traf er in Begleitung seines Verteidigungsministers Fernando Azevedo e Silva auch mit Admiral Faller zusammen. Der für die Koordination und Durchführung aller militärischen Operationen in Lateinamerika verantwortliche Southcom-Befehlshaber versicherte, dass ihm »eine Palette von Optionen« zur Verfügung stehe, um »gegen die Diktaturen in Venezuela und Kuba vorzugehen«. Nach dem Gespräch mit Bolsonaro gab Faller am Mittwoch vergangener Woche bekannt, dass die USA ihre militärische Präsenz in Lateinamerika bis Ende des Jahres weiter ausbauen. Er kündigte den Einsatz von mehr »Schiffen, Flugzeugen und Sicherheitskräften« an, um das »Engagement der USA für Demokratie« in Lateinamerika und der Karibik »zu Wasser, zu Land, in der Luft, im Weltraum und in der Kybernetik« zu verstärken. Faller begründete die geplante militärische Aufrüstung Washingtons in Lateinamerika auch damit, dass »Russland, China und Kuba mit dem Regime des Diktators Nicolás Maduro kollaborieren«, während »die Demokratien der Welt nach einem Weg suchen, um dem venezolanischen Volk das zu geben, was es verdient: eine freie und wohlhabende Wirtschaft«.
Bolsonaro hatte vor seinem USA-Besuch bereits den Abzug des diplomatischen Personals aus Venezuela angekündigt und die Regierung von Maduro aufgefordert, ebenfalls alle Diplomaten abzuziehen. Statt dessen akzeptiert Bolsonaro eine Gesandte des Oppositionellen Juan Guaidó als Botschafterin. US-Außenminister Pompeo lobte seinen brasilianischen Amtskollegen Ernesto Araújo dafür bei einem Treffen am 11. März in Washington, auf dem die Politiker nach US-Angaben auch Themen der Verteidigung und Sicherheit erörterten. »Das Bündnis zwischen Brasilien und den USA nimmt Gestalt an. Wir schaffen eine neue Nord-Süd-Achse, die auf einem unerschütterlichen Engagement für Freiheit und Demokratie basiert«, schrieb Araújo per Twitter. Brasilien und Kolumbien gehören zu einer Gruppe von rund 50 der 193 UN- Mitgliedsländer, die Guaidó als »Staatschef« Venezuelas anerkennen, seitdem dieser sich im Januar 2019 selbst zum »Übergangspräsidenten« erklärt hatte. Der erfolglose Oppositionspolitiker ist für die Planungen der US-Militärs wichtig, weil er – im Gegensatz zu anderen Teilen des Oppositionslagers – Gespräche mit der Regierung kategorisch ablehnt. Statt zu verhandeln, will Guaidó für weitere Aktionen, Proteste und Demonstrationen mobilisieren. Bis Ende März solle der Druck mit Unterstützung Brasiliens, Kolumbiens und anderen Mitgliedern der Lima-Gruppe »auf ein Maximum ansteigen«, zitierten die Nachrichtenagenturen Efe und Reuters eine »Quelle aus dem Weißen Haus«.
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