Machtvolles Zeichen
Frauenkampftag in Chile, Mexiko und Argentinien: Hunderttausende gegen Femizide und für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch auf der Straße
Von Frederic Schnatterer
Auf der ganzen Welt sind am Sonntag anlässlich des Frauenkampftags Millionen für Gleichberechtigung und ein Ende geschlechtsspezifischer Gewalt auf die Straße gegangen. Besonders groß war die Beteiligung in mehreren Ländern Lateinamerikas, wo die feministische Bewegung seit Jahren an Auftrieb gewinnt.
Die Bilder aus Chile sind beeindruckend. Auf Fotos und Videos aus der Hauptstadt Santiago ist eine riesige Menge an Demonstrierenden zu sehen, die von der zentralen Plaza Italia bis in die Nebenstraßen hineinreicht. Zwar gab die Polizei die Teilnehmerzahl mit »nur« 150.000 Personen an. In den »sozialen Medien« geteilte Bilder lassen jedoch die am Sonntag von den Organisatoren genannte Zahl von einer Million Menschen allein in Santiago realistischer erscheinen. Landesweit seien es sogar über zwei Millionen Personen gewesen, die den Forderungen nach einer Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sowie nach dem Rücktritt des rechten Präsidenten Sebastián Piñera Nachdruck verliehen.
Teil des Aufstands
Neben einem Erstarken der feministischen Bewegung in Chile hat auch der seit Monaten anhaltende Aufstand dazu beigetragen, dass die Demonstrationsaufrufe massenhaft befolgt wurden. Seit Oktober 2019 wird in dem südamerikanischen Land nahezu wöchentlich gegen die neoliberale Ausrichtung der Gesellschaft protestiert und eine neue Verfassung gefordert. Die Polizeieinheit der Carabineros, die am Sonntag mit besonders vielen Frauen im Einsatz war, antwortet regelmäßig mit brutaler Repression. Menschenrechtsorganisationen werfen ihr unter anderem den systematischen Einsatz sexualisierter Gewalt vor.
Auch wenn mit dem 26. April mittlerweile ein Termin für ein Referendum über eine neue Verfassung feststeht, ebben die Proteste nicht ab. Im Gegenteil: Für die Wochen bis zur Befragung planen die sozialen Bewegungen eine Vielzahl an Aktionen. Das Bündnis »Coordinadora Feminista 8M« ruft bereits seit Mitte Februar zu einem »feministischen März« auf. Höhepunkt ist neben den Demonstrationen am Frauenkampftag ein »feministischer Generalstreik«, der für den gestrigen Montag (nach jW-Redaktionsschluss) angekündigt war.
Auch in Mexiko sollten die Aktionen zum Frauenkampftag am Montag unter dem Motto »Ein Tag ohne uns« weitergehen, nachdem am Sonntag Hunderttausende im ganzen Land gegen Sexismus und Femizide demonstriert hatten. Das Land verzeichnet im lateinamerikanischen Vergleich eine der höchsten Femizidraten, im Durchschnitt kommt es täglich zu zehn Morden an Frauen. Nach Angaben des Exekutivsekretariats des nationalen öffentlichen Sicherheitssystems (SESNSP) stieg die Zahl im Vergleich zu Januar 2015 im gleichen Monat 2019 sogar noch einmal um 137 Prozent an.
Nachdem zu Beginn dieses Jahres mehrere Frauenmorde für Aufsehen gesorgt hatten, entlud sich die Wut der feministischen Bewegung in spontanen Protestaktionen. Der als links geltende Präsident Andrés Manuel López Obrador reagierte mindestens ungeschickt. So erklärte er, die Ursache für die Gewalt an Frauen liege im Neoliberalismus, und rief die Protestierenden dazu auf, doch bitte kein öffentliches Eigentum zu zerstören. Unterdessen werden die Proteste immer mehr zu einem Problem für seine Regierung.
Nah am Ziel
In Argentinien gingen am Frauenkampftag Tausende auf die Straße. So versammelten sich in der Hauptstadt Buenos Aires Hunderte zu einem »Pañuelazo« vor der Kathedrale, wo die katholische Kirche zu einer Messe geladen hatte. Mit den zum Symbol gewordenen grünen Halstüchern (»Pañuelos«) forderten sie, Schwangerschaftsabbrüche generell zu legalisieren – ein Ziel, dem die feministische Bewegung mittlerweile so nah ist wie nie. Noch in dieser Woche plant der neue Präsident Alberto Fernández, einen Gesetzentwurf in die beiden Kammern des Parlaments einzubringen. Dieser sieht eine Änderung des Strafrechts vor, das bisher bis zu vier Jahre Haft für unerlaubte Schwangerschaftsabbrüche vorsieht. Damit würde Argentinien nach Kuba, Uruguay und Guyana (sowie Mexiko-Stadt) zum vierten Land Lateinamerikas, in dem Abtreibungen legal sind.
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