KUBANISCHE ÄRZTIN IN ALLER WELT
INTERVIEW MIT DR. INDIRA GARCÍA ARREDONDO ÜBER IHRE ARBEIT IN VENEZUELA
UND BRASILIEN
Das medizinische Hilfsprogramm Mais Médicos
(Mehr Mediziner) zwischen Kuba und Brasilien
endete 2018 abrupt. Weil Brasiliens
rechtspopulistischer Präsident Jair Bolsonaro
neue Bedingungen aufstellte und Kuba Vorwürfe
machte, holte Kuba sein medizinisches Personal
zurück. Kürzlich unterstellte Bolsonaro,
das Land wollte mit dem Programm Keimzellen
für eine Guerrilla in Brasilien bilden.
Die kubanische Ärztin Dr. Indira García Arredondo
arbeitete in Brasilien und Venezuela. Sie
besuchte auf Initiative des Vereins Humanitäre
Cuba Hilfe 15 Städte in Deutschland und der
Schweiz, um über ihre Erfahrungen zu berichten.
Was denken Sie darüber, dass Kubas Präsident
Miguel Díaz-Canel die Ärzt*innen aus Brasilien
zurückgeholt hat?
Wir verließen Brasilien auf Initiative unserer
Regierung, aufgrund der Anschuldigungen Bolsonaros,
die schlicht und einfach Lügen waren.
Eine Behauptung lautete, dass wir nicht unser
ganzes Gehalt ausbezahlt bekämen. Seit 2013 gab
es aber auf Initiative der ehemaligen brasilianischen
Präsidentin Dilma Rousseff einen trilateralen
Vertrag zwischen Brasilien, der
Panamerikanischen Organisation für Gesundheit
und Kuba. Darin ist klar festgehalten, dass wir
einen Anteil unseres Gehalts als Stipendium bekommen.
Der größere Teil geht an die Gesundheitsversorgung
in Kuba oder an andere
Missionen, denen Kuba Material und Personal bereitstellt.
Er behauptete außerdem, dass wir unsere Familien
nicht mitnehmen durften. Es war zwar nur
für drei Monate möglich, aber wir hatten unsere
Familien bei uns. Wir haben elf Monate gearbeitet
freiwillig, nicht gezwungen, wie sie auch
behaupteten und hatten einen Monat frei. Die
Familie hätte auch vier Monate bleiben dürfen,
aber ich fand, dass drei Monate genug Zeit war.
Eine weitere Behauptung Bolsonaros lautete, dass
wir nicht die nötigen medizinischen Fähigkeiten
hätten. Doch wir mussten in Brasilien mehrere
Prüfungen bestehen, medizinische, aber auch
sprachliche. Wir hatten Unterricht und Konferenzen
in den Universitäten vor Ort, wo wir monatlich
getestet wurden. Wir haben von wöchentlich
40 Stunden Arbeitszeit 32 Stunden gearbeitet und
8 Stunden studiert.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie als Ärztin
im Ausland arbeiteten?
Schon als kleines Kind wollte ich Ärztin werden
und auch mein Vater wollte es für mich, weil er
damals nicht die Möglichkeit hatte. Außerdem
sind zwei meiner Onkel Ärzte. Es hat mir schon
immer gefallen anderen zu helfen, besonders
Kinder mag ich gern. Nach meinem Studium arbeitete
ich während der Zeit meines Sozialen
Dienstes in einer abgelegenen Region in meiner
Heimatprovinz (Der dreijährige Soziale Dienst ist
verpflichtend für Menschen mit einer höheren
Ausbildung und obligatorisch für die Erlaubnis,
im Ausland zu arbeiten, Anm. der Red.). Dort war
ich ganz auf mich gestellt und wurde mit vielen
Problemen konfrontiert. Ich war Ärztin und
Krankenschwester auf einmal, schlief am Arbeitsplatz
und war 24 Stunden anwesend. Nach zwei
Jahren Dienst und mit meinem Abschluss als Ärztin
der Allgemeinmedizin bin ich zuerst nach Venezuela
gegangen. Weil ich schwanger wurde und
die Mission in Venezuela nicht abschließen konnte,
wollte ich beenden, was ich angefangen hatte
und ging anschließend nach Brasilien.
Wollten Sie in Venezuela arbeiten oder war das
vorgegeben?
Man kann nicht wählen, wohin man geht, das ist
von der Dringlichkeit der Lage im jeweiligen Land
abhängig. Die Einsatz kubanischer Ärzte in Venezuela
hatte gerade erst begonnen und ich war
eben die Nachfolge für den Arzt vor mir.
Wie funktioniert die Auswahl kubanischer
Ärzt*innen für den Auslandseinsatz?
Die Auswahl nimmt der Gesundheitsdienst vor.
Es gibt Verträge für die medizinische Zusammenarbeit
auf Anfrage der Länder, die manchmal Personal
mit ganz bestimmten medizinischen
Fähigkeiten suchen. Danach wird auf mehreren
regionalen Ebenen nach verfügbaren Freiwilligen
gesucht.
Sie haben auch in Venezuela gearbeitet, in dem
Programm für medizinische Hilfe Barrio Adentro.
Wie beurteilen Sie die Unterschiede zwischen
den Gesundheitssystemen im Vergleich
mit dem Kubas?
Im Vergleich mit dem venezolanischen Gesundheitssystem
ist das kubanische besser. Es ist einzigartig,
gratis und in der Verfassung
festgeschrieben. Man sieht, wie viele Ärzte in anderen
Ländern fehlen. In Brasilien gab es Gemeinden,
in die das erste Mal überhaupt Ärzte
kamen. Das Programm Mais Médicos erreichte
ungefähr 3.600 Gemeinden, in 700 davon war
noch nie zuvor ein Arzt gewesen. In Kuba ist das
medizinische Versorgungsnetz dichter. Dort, wo
ich meinen Sozialen Dienst geleistet habe, gab es
zwar nur einen Bus am Morgen und einen am
Abend, aber immerhin eine Ärztin.
Was sagen Sie zu dem oft wiederholten Vorwurf,
es gäbe in Kuba zu wenig Ärzt*innen, weil so
viele von ihnen im Ausland arbeiten?
In Kuba fehlt es nicht an medizinischem Personal.
Wenn wir zum Arbeiten in ein anderes Land
gehen, ist die medizinische Versorgung in Kuba
garantiert, es gibt ein Gleichgewicht und unser
Gehalt wird weiter gezahlt. Wenn wir zurückkommen,
kehren wir an unseren alten Arbeitsplatz
zurück.
// Interview: Robert Swoboda
DR. INDIRA GARCÍA ARREDONDO
arbeitete mit der Mission Barrio Adentro zunächst
zwei Jahre in Venezuela, bevor sie drei Jahre lang
im Rahmen von Mais Médicos in Brasilien als
Ärztin tätig war. Derzeit bereitet sie sich auf einen
Einsatz in Algerien vor.
Das Programm Mais Médicos entstand im Jahr 2013 auf Initiative der damaligen brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff. Laut der Panamerikanischen Organisation für Gesundheit kamen in Brasilien auf 1.000 Einwohner*innen nur 1,8 Ärzt*innen, ein noch größeres Defizit bestand in peripheren Regionen. Hinzu kam schon damals die zunehmende Privatisierung des Gesundheitswesens und die Kürzung der Mittel für die öffentliche Versorgung. Mit Hilfe kubanischer Unterstützung sollte in peripheren und armen Regionen die medizinische Situation verbessert werden. Seit August 2013
waren über 20.000 kubanische Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen in Brasilien tätig. Zuletzt waren ungefähr die Hälfte der insgesamt 18.000 Mediziner*innen aus Kuba, bis sie Ende 2018 abgezogen wurden. Laut Telesur blieben damit 24 Millionen Brasilianer*innen ohne medizinische Versorgung.
Die Mission Barrio Adentro wurde 2003 vom ehemaligen Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez, und der kubanischen Regierung ins Leben gerufen. Sowohl venezolanische als auch kubanische Ärzt*innen werden dafür in die armen Regionen des Landes geschickt, um die Bevölkerung auch dort zu versorgen, wo es keine medizinische Einrichtungen gibt. Inzwischen haben circa 145.000 Mediziner*innen aus Kuba in dem Programm gearbeitet.