Der beschwerliche Weg zurück in die Normalität
Veröffentlicht am 31. Oktober 2019
Gut zwei Wochen nachdem die Energiekrise auf Kuba für beendet erklärt wurde, ist der Weg zurück in die Normalität für die Insel beschwerlich und graduell. Die akute Wirtschaftskrise macht sich dieser Tage vor allem in Form von leeren Regalen und Knappheit bis zu den Grundnahrungsmitteln bemerkbar, während die USA ihre Sanktionen gegen das sozialistische Land fast im Wochentakt verschärfen.
„Kehren die unentbehrlichen Tomatenprodukte wieder in die Läden zurück?“, fragt dieser Tage Havannas Lokalzeitung „Tribuna“ und antwortet: „Ohne Zweifel wird sich die Lage im kommenden Monat verbessern“. Das Parteiorgan „Granma“ verkündete in Bezug auf die Versorgung mit subventionierten Grundnahrungsmitteln: „Ab November wird es wieder 500 Milliliter Speiseöl pro Person und Monat geben“. Es sind diese kleinen Erfolgsmeldungen, die vom Ausmaß der Versorgungskrise zeugen, welche derzeit den Alltag der Kubaner bestimmt.
Schwierige Versorgungslage
Noch immer hat sich das Land nicht von der mehrwöchigen Energiekrise erholt, welche die Insel in der zweiten Septemberhälfte heimsuchte. US-Präsident Donald Trump hatte durch neue Sanktionen gegen Reedereien die kubanische Ölversorgung für mehrere Wochen unterbrochen, was die Regierung zu einem drastischen Sparprogramm gezwungen hat: Der Transport war bis vor einigen Wochen praktisch paralysiert, staatliche Angestellte wurden nach Hause geschickt um Ressourcen einzusparen und die wenigen verbliebenen Busse zu entlasten. Importe wurden gekürzt, die Stromversorgung in öffentlichen Gebäuden rationiert und die Öffnungszeiten vieler Einrichtungen reduziert. Läden, die noch vor einigen Monaten gut gefüllt waren, bieten heute nur noch den traurigen Anblick leerer Regale. Noch immer stehen viele Fabriken still. Die Krise macht sich indes auch bei Grundnahrungsmitteln bemerkbar. Eier sind eine der wichtigsten Proteinquellen auf Kuba. Bisher gab es diese für einen Peso (ca. 3 Eurocent) zu kaufen, heute wird für einen Karton auf dem grauen Markt mehr als das Vierfache verlangt. Tausende Hühner in den staatlichen Legebatterien haben die letzten Wochen mangels Futter nicht überlebt wie Agrarfunktionäre in der allabendlichen Sendung „Mesa Redonda“ (runder Tisch) vor kurzem erklärten.
Havannas Stadtbusse verkehren heute wieder, doch es hat den Anschein, dass noch immer zwei Drittel der Flotte im Depot verbleiben muss. Auch sonst kommt die „Re-Normalisierung“ nur langsam in Gang: Verkehrspolizisten weisen staatliche Fahrzeuge weiterhin an, Passagiere kostenlos mitzunehmen. Die Solidarität auf den Straßen funktioniert. Die Anfang des Jahres neu erworbenen quietschgelben russischen Minibusse sorgen für spürbare Erleichterung auf den Hauptverkehrsadern. Die alten US-Autos, welche als Sammeltaxis fungieren, nehmen heute jedoch meist 1 CUC, fast das doppelte der staatlich festgelegten Preisobergrenzen. „Oferta y demanda“, Angebot und Nachfrage gilt im Privatsektor, der auch in der Gastronomie weiterhin mit üppigem Angebot aufwarten kann, während Bier und Cola in staatlichen Einrichtungen knapp sind. Die Schlangen an den Bushaltestellen sind in den letzten Tagen immerhin kleiner geworden. Irgendwie kommt man dann doch vom Fleck.
Mit stoischer Geduld ertragen die Kubaner auch die jüngsten Folgen der seit mehr als 60 Jahre bestehenden Wirtschaftsblockade gegen ihr Land, welche zusammen durch die akuten Probleme des wichtigsten Handelspartners Venezuela erstmals seit 1990 wieder zu einer schweren Liquiditäts- und Versorgungskrise geführt hat. Der Vergleich zur „Sonderperiode“ der 1990er Jahre in Folge der Auflösung der Sowjetunion, die zu täglichen Stromabschaltungen in den Wohngebieten führte, liegt nahe. Diese brachte damals jedoch weitaus gravierendere Folgen mit sich als die jetzige „konjunkturelle Situation“, wie die Krise heute offiziell bezeichnet wird. Stromausfälle waren in den vergangenen Wochen die Ausnahme und auch Benzin und Diesel sind inzwischen wieder verfügbar. Kubas Abhängigkeit von externen Partnern ist weiterhin groß, doch signifikant geringer als damals. Heute kann das Land immerhin die Hälfte des benötigten Treibstoffs selbst herstellen. Dennoch: auch 30 Jahre nach dem für Kuba so folgenreichen Fall des „Eisernen Vorhangs“ ist die Stimmung auf der Insel spürbar angespannt; die Regierung musste ihre Wachstumsprognose für 2019 zuletzt auf 0,5 Prozent senken.
Havanna hat sich verändert. Viele politische Slogans und Blechschilder, die vor wenigen Jahren noch die Straßen zierten, sind heute verschwunden. Hier wird offenbar ebenfalls gespart. Doch auch die USA-Fähnchen in Taxis und auf T-Shirts, unter US-Präsident Obama, zur Zeit der Annäherung zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba noch schwer in Mode, sind heute pasé. Die neue Müllabfuhr fährt anlässlich des 500. Gründungsjubiläums der Hauptstadt erstmals durch alle Gemeinden. Viele Schutthalten Centro Habanas sind beseitigt. Die Stadt wirkt aufgeräumter, und durch den nachlassenden Touristenstrom, menschenleerer denn je.
Investitionen werden fortgesetzt
Doch es gibt auch Licht am Ende des Tunnels: anders als in den 1990er Jahren laufen die meisten Investitionen weiter. Ein Beispiel hierfür ist der Ausbau des mobilen Internets, welches heute in Havanna dank chinesischer LTE-Sendemasten mit Geschwindigkeiten von bis zu 70 Mbit besser funktioniert als in weiten Teilen Deutschlands. Mehr als 2,9 Millionen Kubaner surfen inzwischen über die Mobildaten im weltweiten Netz, welche eine deutlich bessere Option sind als die ehemals stark frequentierten WiFi-Hotspots. In den kommenden Wochen sollen die Preise für die Datenpakete weiter sinken, während über 110.000 Haushalte bereits über DSL-Anschlüsse verfügen. Kubas neuer Präsident Miguel Díaz-Canel hielt Wort, als er vor einigen Jahren das Internet zum „Recht aller“ erklärte, und versprach, dieses unter seiner Führung „erschwinglicher und verfügbarer“ machen zu wollen.
Auch die neuen Devisenläden, welche seit vergangener Woche Produkte wie Klimaanlagen, Kühlschränke, Autoteile und E-Roller zu kompetitiven Preisen anbieten, sind ein Erfolg. „Die Preise sind erschwinglich“, meint ein Kubaner in einem der 13 neuen Geschäfte, in denen ausschließlich mit US-Dollar, Euro, Yuan, mexikanischen Pesos und anderen Devisen über Giro- und Kreditkarte bezahlt werden kann. Bargeschäfte sind ausgeschlossen, was die Zirkulation der Fremdwährung sowie Korruption von vornherein limitieren soll. Die Anzahl dieser Geschäfte soll in den kommenden Wochen auf über 70 anwachsen, so dass in jeder größeren Stadt mindestens ein Laden die stark nachgefragten Konsumgüter feilbieten wird.
Mit den neuen Importgeschäften versucht die Regierung dringend notwendige Devisen abzuschöpfen, welche bisher häufig in Panama landen, über dessen Freihandelszone private Einkäufer jene begehrten Produkte nach Kuba bringen. Trotz Zoll und Flugkosten hat sich das Geschäft bisher gelohnt. Doch der Staat geht jetzt in die Offensive mit Preisen, „die jenen in der Region üblichen entsprechen“. In Verbindung mit Garantie und Gewährleistung, wie die „Granma“ ankündigte, ist das Geschäft der „mulas“ („Packesel“) deshalb kaum mehr erträglich. Der bisherige 240-prozentige Preisaufschlag auf die Produkte entfällt. Diese Devisenkäufe, welche auf bis zu 2 Mrd. US$ pro Jahr geschätzt werden, bleiben jetzt im Land: hierzu bringt sich der Staat als konkurrenzfähiger Akteur in den Markt ein, indem er ein attraktives Angebot bietet, ohne die bisherigen Regeln für Importe einzuschränken und damit das staatliche Außenhandelsmonopol durch Wettbewerbsfähigkeit statt durch Verbote stärkt. Im Ergebnis bedeutet das ein gutes Angebot für Verbraucher und Mehreinnahmen für die klamme Staatskasse, also eine klassische win-win Situation. Und die Nachfrage ist immens: vor vielen Geschäften bildeten sich in den vergangenen Tagen lange Schlangen. Entgegen mancher Befürchtungen scheint das Angebot dem Andrang bisher standzuhalten. „Eine Frontblende für den Lada 2101, die bisher um die 40 CUC gekostet hat, kann ich hier für 3,50 US$ kaufen. Die Zahlen sprechen für sich“, berichtet ein Kunde.
In Folge der neuen Devisenläden sind die Preise für Elektroartikel und Autoteile auf dem informellen Markt drastisch gesunken, was das Geschäft der „mulas“ in Bedrängnis bringt aber die Verfügbarkeit dieser Waren für Kubaner verbessert. Gleichzeitig hat die 2004 etablierte Devisenwährung CUC jedoch in kurzer Zeit deutlich an Attraktivität eingebüßt. Der Schwarzmarktkurs des CUC ist von fast 1:1 diese Woche auf 1,5 zum US-Dollar gefallen. Um einen weiteren Wertverfall zu verhindern hat die Regierung deshalb in einer jüngsten Maßnahme den Import von CUC ab dem 16. November verboten. Dennoch ist damit der Anfang vom Ende des CUC eingeläutet, welcher im Zuge der lang angekündigten Währungsreform ohnehin abgeschafft werden soll. Eine Teil-Dollarisierung der Wirtschaft scheint damit wahrscheinlich, da in absehbarer Zeit sicherlich auch andere Akteure (staatliche Unternehmen, Genossenschaften und Privatsektor) von den neuen Importmöglichkeiten Gebrauch machen möchten.
Fazit
Die Lage auf Kuba ist derzeit angespannt. Durch die jüngsten US-Sanktionen gerät die Regierung unter Druck. Viele ausländische Unternehmen haben bereits angekündigt, bis zur nächsten Präsidentschaftswahl in den USA ihre Projekte zu pausieren oder keine neuen Vorhaben tätigen zu wollen, was die Haushaltslage weiter verschärfen könnte. Aufgrund der externen Situation wird der Regierung daher keine andere Möglichkeit bleiben, als die zur Mitte dieses Jahres angekündigten Wirtschaftsreformen rasch umzusetzen und zu vertiefen. Die Öffnung der Devisenläden für Fremdwährung ist ein erster Schritt in in Richtung und läutet gleichzeitig den Anfang der bevorstehenden Währungsreform ein. Ob diese Maßnahmen ausreichend sein werden, um die aktuelle Wirtschaftskrise zu bekämpfen, muss sich erst noch zeigen. Der zunehmende Stromverbrauch durch die bessere Verfügbarkeit von Elektroartikeln dürfte Kubas Wirtschaftsplaner indes vor neue Herausforderungen stellen, ganz zu schweigen von der Kontrolle der Inflation, die bisher kein großes Problem darstellte. Der Weg in die Normalisierung ist in jedem Fall ein steiniger Pfad, der die in der neuen Verfassung angekündigten strukturellen Veränderungen immer dringlicher macht.