Lügen im Spiegelsaal
Hamburg: Guaidó-Propagandatrupp zu Besuch in der Hansestadt. FDP-nahe Stiftung rollt roten Teppich aus
Von Kristian Stemmler
Die Friedrich-Naumann-Stiftung weiß, was sie Putschisten schuldig ist. Jedenfalls dann, wenn sie auf der »richtigen Seite« stehen. Eines der teuersten Hotels Hamburgs hatte die FDP-nahe Stiftung ausgesucht, um Personen aus dem Umfeld von Juan Guaidó, dem selbsternannten »Übergangspräsidenten« von Venezuela, ein Forum zu bieten. Im Spiegelsaal des Grand Élysée in der Nähe des Dammtorbahnhofs lauschten rund 250 Zuhörer am Dienstag abend hingebungsvoll den Erzählungen – oder sollte man sagen: Ammenmärchen – von Otto Gebauer, Milos Alcalay und Milsy Liebezeit.
Dankenswerterweise hatte das »Hamburger Bündnis gegen die imperialistische Intervention in Venezuela« zuvor in einer Erklärung dargelegt, mit wem man es da zu tun haben würde: Der Auftritt der Guaidó-Sendboten in Hamburg sei eine »ungeheure Provokation«. Gebauer war im April 2002 als Hauptmann an dem nach kurzer Zeit niedergeschlagenen Putsch gegen Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez beteiligt, saß dafür im Gefängnis. Guaidó machte Gebauer zum diplomatischen Vertreter in Deutschland; die Bundesregierung hat ihn bislang allerdings nicht akkreditiert.
Eine ähnlich illustre, wenn auch etwas weniger militante Vita hat auch Milos Alcalay zu bieten. Er war in den 90ern stellvertretender Außenminister von Venezuela, also in einer Zeit, in der in dem lateinamerikanischen Land das Volk unterdrückt und die Öl-Ressourcen ausgeplündert wurden. Milsy Liebezeit schließlich ist eine exilierte Vertreterin der rechten Partei »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD). Das Trio ließ sich von Moderatorin Silvia Cabrera, einer venezolanischen Journalistin der Deutschen Welle, nicht lange bitten: Es stellte Venezuela als ein von sozialistischer Misswirtschaft und Tyrannei gezeichnetes Land dar.
Gebauer dekretierte, Staatspräsident Nicolás Maduro sei »auf betrügerische Art und Weise« an die Macht gekommen. Er setze aufs Militär, um das Volk einzuschüchtern. Nach dem Putsch von 2002 habe Chávez viele Offiziere befördert, »die einen schlechten Ruf« haben, behauptete Gebauer. Die venezolanische Armee habe heute »mehr Generale als die NATO«. Chávez habe zudem »ein großes Kontingent« Frauen in die Streitkräfte integriert, »was für die militärische Disziplin von Nachteil war«. Das Publikum nahm diese mindestens skurrile Äußerung Gebauers ebenso regungslos hin wie seine Aussagen zu angeblichen Folterungen in Venezuela.
Im Militärgefängnis sei er 2004 gefoltert worden, aber »nur geschlagen«. Heute würden politische Gefangene gequält, indem man »ihre Füße mit spitzen Steinen aufschneidet und ihnen zugleich einen Plastiksack über den Kopf zieht«. Belege für seine Behauptungen führte Gebauer nicht an. Auch sein Mitstreiter Alcalay durfte auf dem Podium unwidersprochen schwadronieren. In seinem Land herrsche ein »Regime des Terrors«, erklärte er, es stehe aber eine »Implosion der Streitkräfte« bevor.
Den Vogel schoss Milsy Liebezeit ab. Dass in Venezuela kürzlich Kinder gestorben sind, weil eine rechtzeitige Knochenmarktransplantation im Ausland ausblieb, kreidete sie der Regierung Maduro an. Es sei »sehr pervers«, dass Maduro zeitgleich Millionen fürs Militär ausgeben wolle. Dass ein Fonds des Erdölkonzerns PDVSA die Behandlung der Kinder in Italien nicht mehr finanzieren konnte, liegt an der Blockadepolitik der USA. Tatsachen spielten im Grand Élysée aber sowieso keine Rolle; den meisten Zuhörern schien es egal zu sein.
Generell war auf dem Podium keine Rede davon, dass die Sanktionen gegen Venezuela für die wirtschaftliche Misere des Landes zumindest mitverantwortlich sind. Auch nicht in den Statements der deutschen Mitdiskutanten, des FDP-Bundestagsabgeordneten Alexander Kulitz und des Hamburger Wirtschaftsprofessors Thomas Straubhaar, Mitglied im Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung. Kulitz bekannte, er sei »sehr froh«, dass die Bundesregierung Guaidó unterstütze. Straubhaar lamentierte, es sei ein Drama, dass sich »innerhalb einer Generation eine funktionierende Ökonomie aufzulösen beginnt«. Deutschland und die EU sollten sich für Venezuela interessieren, empfahl der Professor, wegen »seiner großen Ressourcenvielfalt«. Das war vermutlich die ehrlichste Aussage des ganzen Abends.