»Lage ist ernst, aber nicht dramatisch«
Besuch in bewegten Zeiten: Linke-Abgeordneter führte in Venezuela Gespräche mit Maduro und Guaidó. Ein Gespräch mit Andrej Hunko
Interview: Kristian Stemmler
Andrej Hunko ist Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke
Sie waren vom 16. bis 27. April in Venezuela, vor allem in Caracas. Hat sich die Eskalation der vergangenen Tage mit dem erneuten Putschversuch am Dienstag bei Ihrem Besuch schon abgezeichnet?
Ich hatte das Gefühl, dass etwas passieren könnte. Meiner Einschätzung nach steht der selbsternannte »Übergangspräsident« Juan Guaidó unter Zugzwang, weil er die Dynamik verloren hat, die er noch Ende Januar gehabt haben mag. Dieses Momentum wiederzuerlangen, geht nur durch durch einen sogenannten Game Chan ger – eine Aktion, die das Blatt wendet.
Wie ist Guaidós Aufruf zum Aufstand einzuordnen?
Das war eindeutig ein Putschversuch. US-Senator Marco Rubio war auf Twitter furchtbar empört, dass sogar CNN die Ereignisse als solchen bezeichnete. Das Video, in dem Guaidó zum Aufstand aufruft und das übrigens vor dem Militärflughafen »La Carlota« in Caracas und nicht auf dem Stützpunkt gedreht wurde, sollte das Signal sein: Jetzt ist der Tag der Entscheidung. Damit ist er erst einmal gescheitert.
Haben wir es mit einer versuchten Eskalation zu tun, um einen Vorwand für eine ausländische Intervention zu liefern?
Das scheint mir das Szenario zu sein, das einige anstreben. Es gibt Berichte über entsprechende Vorbereitungen von Einheiten auf kolumbianischer Seite. Dies wird aber von wichtigen Teilen der Opposition ebenso abgelehnt wie von den meisten lateinamerikanischen Ländern.
Zurück zu Ihrem Besuch. Sie haben sich in Venezuela mit vielen getroffen – auch mit Staatspräsident Nicolás Maduro und mit Guaidó.
Ich hatte ein sehr umfangreiches Programm mit mehr als 30 Gesprächsterminen. Dabei waren Politiker der Regierung wie der Opposition, Hilfsorganisationen, Kirchenvertreter, Politikwissenschaftler, kritische Chavisten, Menschen aus sozialen Bewegungen und so weiter. Gespräche mit Maduro und Guaidó waren ursprünglich nicht eingeplant. Nach meinem Treffen mit dem Außenminister kam aber eine Anfrage von Maduro, und da habe ich zugesagt. Und das Treffen mit Guaidó ergab sich, als ich die Opposition im Parlament und auch Führer der anderen Parteien dort besucht habe. Wir haben ein bisschen über die Lage gesprochen, allerdings nicht sehr intensiv.
Wie war Ihr Eindruck von der Stimmung im Land?
In der Zeit, in der ich da war, war es eigentlich relativ ruhig. Die Sicherheitslage war nicht so dramatisch, wie das häufig dargestellt wird. Ich habe einige Reisehinweise vom Auswärtigen Amt bekommen und trotz der Warnungen ein Hotel im Zentrum von Caracas genommen. Man muss dort ohnehin vorsichtig sein, denn die Stadt ist ein sehr gefährliches Pflaster mit einer hohen Mordrate, wie andere lateinamerikanische Großstädte auch.
Was haben Sie von der Not in Venezuela mitbekommen, die von der bürgerlichen Presse hierzulande gern beschworen wird?
Wenn man durch die Straßen von Caracas geht, hat man diesen Eindruck zunächst nicht. Die Supermärkte sind bestückt. Vereinzelt sieht man auch jemanden, der im Müll wühlt. Da sagte mir meine Dolmetscherin, das sei für sie erschütternd, weil es das bisher nicht gegeben hätte. Aber es ist jetzt nicht so, dass die Menschen auf der Straße sitzen und hungern. Es gibt bestimmte Medikamente nicht, was durch die Sanktionen gegen Venezuela dramatisch zunimmt. Die Lage ist ernst, aber nicht so dramatisch, wie das hier in den Medien rüberkommt.
Deutsche »Leitmedien« haben sich über Ihren Besuch und den Handshake mit Maduro echauffiert. Wie kam das bei Ihnen an?
Erst einmal bin ich ihnen dankbar. Dadurch ist der Besuch viel mehr wahrgenommen worden. Und wer genau hingeschaut hat, konnte sehen: Der hat sich ja mit allen Parteien getroffen, um sich ein Bild zu machen. Ich habe viele Mails bekommen, in denen es hieß: So muss Außenpolitik sein, mit den verschiedenen Seiten sprechen. Das ist doch ein schöner Kontrast zu Bundesaußenminister Heiko Maas, der Guaidó noch während des Putschversuches von Brasilien aus seine Unterstützung zugesichert hat, aber selbst um Venezuela einen Bogen macht. Das ist eine erbärmliche Außenpolitik!
Gab es Kritik am Maduro-Besuch aus der eigenen Partei?
Das war das Interessante. Einige Medien haben versucht, Vertreter von Die Linke zu einer Distanzierung zu bewegen. Soweit ich gesehen habe, ist das nicht gelungen. Das fand ich sehr erfreulich.