«Es musste in Venezuela sein!»
Die Trägerin des Nationalen Theaterpreises 2017 agierte mit den kubanischen Mitarbeitern in Venezuela, wo sie mit Granma über Kunst, Verpflichtung, Solidarität und zwei Giganten sprach, deren Werk weitergeht
mai 8, 2019 13:05:10
Die Schauspielerin, Dramaturgin und Regisseurin Fátima Patterson hatte die Reporter schon gewarnt, dass sie „viel rede“ weswegen unser Journalist nicht mit seinen Kollegen um erste Erklärungen kämpfen wollte, sondern Fátima um ein exklusives Interview bat.
Das Büro zur Betreuung der kubanischen Missionen in Kuba und unser Kulturministerium arbeiteten zusammen, um unseren Mitarbeitern in Venezuela authentische Vertreter der Kunst zu schicken, die uns definiert. Fátima nun war eine besondere Attraktion, denn nicht alle Tage kann man in Caracas eine Nationale Theaterpreisträgerin finden.
Die Woche hatte sie erschöpft. Auf den diversen Bühnen der Rundreise traten der Trovador Karel García und der Humorist Enoel Oquendo zusammen mit ihr auf und als der Journalist schon glaubte, alles sei verloren, öffnete Fátima ihm die Tür für ein Gespräch.
-Sie sagen uns allen, dass der Name ihrer Gruppe Macubá Mutter Kuba bedeutet. Was bedeutet Kuba für Sie?
Fátima lacht: «¡Caramba…! Kuba ist meine große Liebe! Kuba hat mit all dem zu tun, was ich am meisten liebe: meine Mutter, die eine wirklich bescheidene Frau war, die gearbeitet hat, um ihre Familie unterhalten. Für unser Land sind diese Art Frauen typisch. Ich liebe meine Tochter sehr und für sie ist ihr Land ebenfalls sehr wichtig, das hat ihr ihre Großmutter mitgegeben und wie ich erst meine Enkelin liebe.
Dieses Dreieck Mutter-Tochter und Enkeltochter das wird nicht nur geliebt, sondern es ist auch unzertrennlich. Ich bin eine Kubanerin unserer Zeit, ich liebe mein Land und ich verteidige es und das macht mich stolz. Ich bewundere Mariana Grajales sehr – sie ist das Vaterland. Deswegen nennt sich meine Gruppe Mutter Kuba, das ist, was Macuba bedeutet.
-«Ich komme aus allen Welten», habe ich Sie über sich selbst sagen hören. In welcher Etappe ihres Lebens und ihres Werkes würden Sie sich sehen?
— Sieh mal, es fehlt nicht viel, dann habe ich mein 50 jähriges Berufsjubiläum. Kannst du dir vorstellen, was alles da passiert ist? Gestern hat mich ein Compañero aus den Missionen in Venezuela gefragt, ob ich schon einmal durch Havanna gegangen sei und ich habe ihm gesagt: Nein, ich lebe in Santiago.“ Und daraufhin er: „ Und alles, was du getan hast, hast du von Santiago de Cuba aus getan? „ Natürlich! Man muss nicht fortgehen, um anerkannt zu werden.“
«Alle Menschen gehen und kommen aus den Welten; in ihrem Land ,in anderen, aber ich bin keine Reisende. Ich bin eine mehr sesshafte Frau. Das Leben hat mich in eine Lage gebracht, in der ich mich viel bewegen muss, aber eigentlich fühle ich mich nur in meiner Ecke wohl, im Haus in Santiago.
Im Augenblick überdenke ich mein Verhältnis zur Jugend, denn mir scheint, dass dies ein sehr wichtiger Moment ist, um die kubanische Nation zu beschützen. Man denkt immer beim Generationenwechsel an einen Bruch zwischen den Jungen und den Alten. Ich denke, dass das nicht so ist, dass es logischerweise ein Dialog ist, um den Weg für die Generationen, die kommen, freizumachen. Unsere Erfahrung ist sehr wertvoll, aber die neuen Ideen und die Auffrischung, die die Jugend mitbringt, sind wichtig. Wir können auf diese Einheit nicht verzichten.
-Da Sie eigentlich eine Künstlerin sind, die Santiago kaum verlässt – was hat Sie dieses Mal dazu gebracht Ihre Routine zu ändern?
—Nun… ich nehme z.B. an den Theaterfestivals von Camagüey und Havanna teil und mache auch einige Rundreisen durch die Provinzen. Granma hat mich mit großer Zuneigung aufgenommen. Ich war auch international unterwegs, aber wenig.
«Ich war überrascht, als man mich anrief, um mir zu sagen, ich soll nach Venezuela kommen. Das hat mich sehr gefreut, denn die Verantwortung, die ein Künstler gegenüber der Gesellschaft, der Welt, der sozialen Gerechtigkeit hat, ist groß. Der Künstler ist ein Wesen, das darüber hinausgeht und die Verpflichtung hat, daran zu arbeiten, dass der Mensch besser wird. Diese Mission in Venezuela hat sehr viel mit Humanismus zu tun, sie ist eine Aktion der Liebe. Wie sollte ich da nicht kommen? Ich musste da sein!
-Schauen wir auf Venezuela – sie haben Lanzen gebrochen für die Frau, für die mit schwarzer Haut, für alle Hautfarben und alle Menschen. Was sagen Ihnen die Tatsachen, dass eine Weiße aus Santiago —Inés Mancebo de Miyares— die Amme Bolívars war und dass zwei schwarze Venezolanerinnen —Hipólita y Matea— mehr Mutter und Schwester des Libertadors waren als Kindermädchen ?
—Das passt zu dem, was ich sage, zu allem, was ich erzähle. Merkst du, dass die Barrieren zerbrechen, dass es keine Farben gibt? Sie sind schwarz, weiß, gelb… aber deswegen weder besser noch schlechter als sonst jemand; Sie sind ein guter Mensch oder ein verabscheuungswürdiger.
Von Bolívar spricht man wie von Maceo, wie von Martí. Bolívar verkörperte den Willen nach Einheit für seine Leute, für ganz Lateinamerika, ein großer Mann, der unseren Respekt verdient. Das hat viel mit der Milch aus der Brust der Frau aus Santiago zu tun, die ihn genährt hat oder mit der schwarzen Hipólita! Sie haben damit zu tun!
In Kuba gab es viele kämpferische Männer und viele Frauen – mehr, als die, von denen gesprochen wird – die im Zentrum der Kampfkraft unseres Volkes stehen. Es sind die Frauen in der Vorhut der Kämpfe um die Emanzipation. Man spricht von Mariana, der Mutter der Maceos, der Mutter des Vaterlandes. Es gibt Leute, die das nicht genauso sehen, aber so ist es. Da sind auch Rosa La Bayamesa, Dominga Moncada…eine ganze Reihe von ihnen.
-Um gerecht zu sein ,muss man aber auch sagen, dass die Maceos die Söhne von Mariana waren…
—Genau, man muss die Begrifflichkeit ändern, um beides auszudrücken.
-In Ihrem Werk von 50 Jahren – Ist diese Bühne hier vor den Mitarbeitern in den Missionen neu?
—Es war beeindruckend. Der Künstler ist vor jedem Publikum nervös, aber hier war ich doppelt nervös vor Personen, die so lange Zeit fort von Zuhause sind, die unter schwierigen Bedingungen leben und dringend ein Wort der Liebe brauchen. Also hierher zu kommen und sie vielleicht zum Lächeln zu bringen. Das ist nicht zu bezahlen.
Ich versuche Geschichten zu bringen, die noch wenig bekannt sind und sie so zu bringen, dass sie leicht verstanden werden. Da konnte man die Reaktion des Publikums sehen. Mein Volk liebt mich und das ist für einen Künstler sehr wichtig. Wenn ich beginne und sie auf ihre Art Verbindung mit mir aufnehmen, fühle ich mich erneuert. Ich gehe erneuert, aufgefrischt weg. Ich habe schon graue Haare, ich habe schon viele Jahre auf meinen Schultern, ich pflege mich, dass ich noch viel geben kann, aber diese Tage in Venezuela haben mir Leben gegeben.
-Was ist das Besondere an diesem Publikum?
—Wenn du ihm Liebe gibst, erhältst du sie zurück. Das ist, was geschehen ist. Es war ein gegenseitiges Feedback zwischen uns. Ich sehe andere Gesichter und ich fühle mich anders. Martí hat es schon gesagt und Silvio hat es gesungen, dass nur die Liebe das Wunder bewirken kann. Es war ein von dir zu dir, ein Geben und Nehmen , was nicht zu bezahlen ist.
-Als Verteidigerin der sozialen Verantwortung der Kunst – was denkt Fátima Patterson über unsere Praxis, den Rucksack zu schnüren und uns zu irgendeinem Horizont zu begeben, um anderen zu helfen, wobei auch die Künstler einen Platz einnehmen?
—Das ist Humanismus. Das ist Güte! Kuba hat wenige Ressourcen gehabt und ist durch schwierige Zeiten gegangen, aber viele Menschen haben uns geholfen. Wir geben also das zurück, was wir von anderen erhalten haben; unser Land gibt Liebe zurück.
Kuba bietet der Welt sein Herz an, der Welt; es ist nicht nur Venezuela sondern an vielen der schwierigsten Orte des Planeten. Uns passieren Dinge, aber wir geben nicht auf und dabei nährt die Kunst den Geist und öffnet das Herz der Menschen, die nicht mehr dieselben sind, nachdem sie ein kulturelles Werk gesehen haben. Das ist vital in dem Krieg, den wir gegen die Mittelmäßigkeit und die Trivialität führen … denn die Kunst nährt die Menschen und veranlasst sie über sich nachzudenken.
-Jetzt, da Sie darüber sprechen – wie gefährlich sind diese Mittelmäßigkeit und diese Trivialität?
—Sehr, sehr, sehr gefährlich. Ich würde sagen, dass dies eine der Waffen ist, die der Feind gegen uns anwendet, um uns zu schwächen, um uns zu knacken. Das dürfen wir nicht zulassen. Vielleicht haben wir ein bisschen gebraucht, um in die Offensive zu gehen, in der wir jetzt sind, aber das dürfen wir nicht zulassen.
-Es interessant, aus dem Mund einer anerkannten Künstlerin das Wort „Feind“ zu hören, denn es gibt noch viele Elfenbeintürme, die versuchen den Schaffenden von einer unbequemen Zone der politischen Realität zu trennen. Glauben Sie an den „Feind“?
Ja, an den glaube ich! Wir sind ein umzingeltes und blockiertes Land mit einem Feind, der sich nicht versteckt, das zu sagen und zu beweisen. Sie brüsten sich sogar damit. Wir hingegen versuchen etwas zum Wohle vieler zu schaffen und auch, wenn nicht alle einverstanden sind, ist es immer wichtig aufzubauen.
-Fátima, die religiösen Züge der Folklore sind in Kuba gut sichtbar, aber ihre Orishas sind anders, denn sie werden menschlich und sprechen, geben Ratschläge, verhandeln …und hinterlassen Lehren selbst für die, die nicht glauben. Was sind Sie für eine Künstlerin, die fast sogar den Göttern Aufgaben erteilt?
Wenn die Menschen über die klassischen griechischen Götter oder die der antiken asiatischen Kulturen sprechen, so ist das gelehrt und gebildet. Aber wenn man anfängt, über die afrikanische Kultur zu sprechen, den Yoruba Pantheon, gucken sie dich voller Verachtung an. Und wenn man eine schwarze Frau ist, so wie ich, sagen sie dass sei pure Ketzerei oder Ignoranz. Nein, was ich mache ist Teil der Kultur der afrikanischen Völker und der unsrigen, so wie andere die griechische und wieder andere die asiatische haben. Du sprichst von Aphrodite – wie schön- aber wenn du Oshun sagst,, fängt es bei den Leuten an zu kribbeln. Um ehrlich zu sein, das kommt schon weniger häufig vor, aber man muss verstehen, dass Aphrodite und Oshún, was die Liebe angeht, ähnlich sind.
Jetzt gibt es einen kleinen Boom, aber trotzdem verstehen die Leute, die diese Kultur, die zu uns gehört, denn es ist eine kubanische Kultur, wenig studiert haben, wenn sie ein Werk sehen, das damit zu tun hat, den Code nicht. Ich praktiziere keine Religion, aber ich studiere meine Kultur.
Natürlich nutze ich meine Götter. Sie sind ein menschliches Konstrukt. Wer kennt Yemayá? Du siehst eine Frau „ die genauso ist wie Yemayá“; das ist ein Konstrukt, genau wie Aphrodite. Eine andere ist „genauso wie Oshun“, dasselbe, aber das, was wir uns aufgebaut haben, muss eine Funktion beim Besserwerden der Menschen haben. Deswegen gibt es immer eine Moral, die wir daraus ziehen können, die uns zum Nachdenken veranlasst, die uns im Alltag landen lässt und die Menschen zum Lachen bringt, die aber dann mit einem Gedanken nach Hause kommen. Ich benutze die Patakines, die Legenden, die Elemente der mündlichen Überlieferung, um sie den Männern und Frauen unserer heutigen Zeit in die Hand zu geben, dass sie sie für sich nutzen können.
-Welche menschlichen, künstlerischen, magischen Brücken einen unserer Völker als Unterstützung für alles andere?
—Der Sklavenhandel, der etwas Schreckliches war, war einer der Bindungen, die uns einte, auch wenn es Gebiete gibt, in denen man nicht viele Menschen afrikanischer Abstammung sieht, weil der Kern der Mächtigen sie unsichtbar gemacht hat. Bei uns ist das nicht geschehen und die Revolution hat dafür gesorgt, dass wir in die Höhe treiben konnten, auch wenn es bei bestimmten Personen, nicht in der Politik, noch viele Vorurteile gibt.
Ich bin dabei zu versuchen, eine enge Verbindung zur tiefen Karibik zu bekommen, denn innerhalb unserer Verschiedenheit sind wir gleich und wenn man das Theater, den Tanz … betrachtet, erkennt man die Nabelschnur, die uns verbindet. Wir sind sogar durch die Bedrohung der großen Macht bedroht, die sich unsere natürlichen Ressourcen aneignen möchte. Sie wollten uns alle ausbeuten, plündern und beherrschen. Welchen Weg gibt es für uns? Die Einheit!
-Welchen Platz wird, nach allem, was Sie erlebt haben, dieser Aufenthalt in Venezuela einnehmen?
—Venezuela kämpft wie nie zuvor eine Schlacht und wir stehen an seiner Seite. Seine Niederlage wäre ein Fiasko für ganz Lateinamerika, aber ich glaube nicht, dass es dazu kommt, denn guck mal, es sind schon so viele Dinge passiert und da sind sie immer noch. Es hat schon alles gegeben, nicht erst jetzt, sondern seit Chávez an die Macht gekommen ist, aber es gibt eine große Masse, die sieht, wo der Weg der Würde verläuft.
Das, was Fidel, Chávez, Evo getan haben …, sie haben den Menschen die Augen geöffnet, damit sie sehen, wie sie sind, damit sie ihren eigenen Wert erkennen, ihre Würde fühlen und dafür kämpfen: mit der Machete wie die Mambises, mit dem Säbel wie Bolívar, wie Venezuela oder mit einem sauberen Schuss wie wir in meinem Santiago bei der Moncada.
-Ich habe Sie sehr bewegt gesehen, als Sie auf dem historischen Schlachtfeld von Carabobo waren, aber ich habe Sie nicht zum Cuartel de la Montaña begleitet. Wie war das, als sie vor dem Grab von Chávez standen?
Cuartel de la Montaña ist etwas sehr Beeindruckendes. Es gibt da eine Energie, die von diesem Giganten ausströmen muss, und das hat mich tief berührt. Nachdem ich das Grab besucht hatte, war ich fast nicht in der Lage, den Rundgang fortzusetzen. Dort befindet sich das Kraftzentrum. Das Gleiche ist mir auf dem Schlachtfeld von Carabobo passiert: Es ist voller Energie.
Ich bin sicher, dass das Cuartel de la Montaña ein Raum geistigen Widerstands ist. Man muss diesen Ort oft besuchen. Man muss die Kinder, diejenigen, die sie nicht kennen, die, die lesen lernen, die Geschichte lehren, die dort wartet , um ihnen dann die ganze Geschichte Venezuelas zu erzählen.
–Sie leben in Santiago nahe am Stein von Santa Ifigenia, haben jetzt das Grab von Chávez besucht . Wie gehen wir als Völker über diese „Brücke“ der Inspiration, von Grab zu Grab.
—Es sind Orte voller Energie. Sie sind dort. Keiner spricht so, als ob sie nicht da wären. Manchmal sagt einer: „Wenn sie hier wären“ oder „ jetzt fehlen ihre Worte“, aber mehr als ihre Worte haben wir ihre Kräfte, die aus diesen Räumen emporströmen .
http://de.granma.cu/mundo/2019-05-08/es-musste-in-venezuela-sein