»Positionierung eher als störend empfunden«
Die Linke vor Europaparteitag: Neben Verhältnis zu Russland wird auch über Haltung zu Venezuela entschieden. Ein Gespräch mit Harri Grünberg
Interview: Jan Greve
Harri Grünberg ist Mitglied des Parteivorstandes von Die Linke und seit Jahren aktiv bei Cuba Sí
Am Freitag beginnt der Europaparteitag von Die Linke in Bonn. Wird es dort aus Ihrer Sicht darum gehen, das eigene Image vor der Wahl im Mai aufzupolieren, oder stehen grundlegende inhaltliche Weichenstellungen an?
Die Partei Die Linke wird sich zunächst ein Europawahlprogramm geben und die Liste der Kandidaturen aufstellen. Der Parteitag ist derweil nicht frei von Spannungen. Dort wird voraussichtlich ein Programm verabschiedet, das in Teilen hinter das des Magdeburger Parteitages von 2016 zurückfällt. Dort hatten wir noch eine sehr deutliche Kritik an der EU als einem militaristischen, neoliberalen und imperialistischen Projekt formuliert. In dieser Schärfe taucht das jetzt nicht mehr auf.
Beim Parteitag soll auch über einen Antrag der AG Cuba Sí mit dem Titel »Internationalistisch denken und handeln! Die progressiven Kräfte Lateinamerikas brauchen die Solidarität der Linken weltweit« beraten werden. Worum geht es da?
Früher war es unbestritten, dass die Linken in Lateinamerika unterstützt werden. Das wird in dieser Form nicht mehr in der gesamten Partei geteilt. Angesichts der Rechtsentwicklung in vielen Ländern dort wollen wir mit dem Antrag für mehr Solidarität mit linken Regierungen, Parteien und Bewegungen appellieren.
Wir haben leider keine eindeutige Positionierung zu Nicaragua gehabt. Der Parteivorstand hat hier eher einen Ansatz durchgesetzt, der mit dem Begriff »Äquidistanz« beschrieben werden kann. Wir erwarten jetzt umso mehr eine Haltung im Fall Venezuela, die Empathie und Solidarität zum Ausdruck bringt. Konkret geht es um fünf Punkte: erstens die Anerkennung der Legitimität der Regierung von Präsident Nicolás Maduro; zweitens eine klare Haltung gegen imperialistische Militärinterventionen und gegen den Raub venezolanischer Bodenschätze; drittens eine politische Lösung des Konflikts durch Verhandlungen; viertens die Aufhebung aller Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela; fünftens die Absage an eine Politisierung humanitärer Hilfe.
Glauben Sie, dass Ihr Antrag mehrheitsfähig ist?
Ich gehe davon aus, dass es in der Spitze der Partei keine große Begeisterung darüber gibt, dass das Thema Venezuela überhaupt behandelt wird. Eine Positionierung wird eher als störend für den Europawahlkampf empfunden. Schon beim letzten Parteitag in Leipzig 2018 mussten wir erleben, wie ein Antrag von Cuba Sí durch die Antragskommission zurückgehalten wurde. Am Ende stand eine Resolution, in der es hieß: »Venezuela hat in der Gefahr einer militärischen Intervention unsere Solidarität.« Dabei handelt es sich aber um eine konditionierte Unterstützung, die sich nur auf einen direkten Angriff bezieht.
Das klingt so, als könnte auch im Falle des Putschversuchs in Venezuela eine Position à la Äquidistanz drohen.
Ähnliches ist ja derzeit im Verhältnis zu Russland zu beobachten. Auch hier wird beim Parteitag ein Antrag diskutiert werden, der klarer als bisher benennt, wer auf internationaler Bühne Aggressor und wer Opfer der Aggression ist. Auch das ist in der Partei umstritten. Aus meiner Sicht geht es bei der Frage des Verhältnisses zu Russland darum, anschlussfähig gegenüber anderen politischen Kräften sein zu wollen. Da stört eine klare Positionierung gegen die NATO.
Es scheint vermehrt darum zu gehen, alte Grundsätze als sprichwörtlichen Ballast über Bord zu werfen, um Kurs auf Regierungsbeteiligungen nehmen zu können. Wo bleibt der lautstarke innerparteiliche Widerstand dagegen?
Die Parteilinken sind in dieser Frage gespalten. Es fehlt ihnen an Wirkungsmacht, um diese Entwicklung aufhalten zu können. Dennoch gibt es weiterhin die Kräfte, die eine gute Beziehung zu Russland fordern und sich gegen die Konfrontationspolitik der NATO stellen. Das Thema Venezuela ist komplizierter, es ist bislang weniger in der Partei aufgearbeitet worden. Jede weitere Äußerung von US-Präsident Donald Trump hellt die Situation auf – man sieht, wohin das Ganze gehen soll.
Wir kämpfen in Venezuela nicht allein um die Fortschritte der dortigen Linken. Das Aufrechterhalten einer linken Alternative hat mit uns selbst zu tun: Es geht darum, ob es gelingt, in einer durch Neoliberalismus und Ausbeutung geprägten Welt Kontrapunkte zu setzen. Insofern ist die Solidarität mit Venezuela, ist eine antiimperialistische Position entscheidend, um auch Alternativen in unserem eigenen Land benennen zu können.