Guaidós Zeit läuft ab
Venezuela zwei Wochen nach Beginn des Putschversuchs: Pläne von Opposition und USA vor dem Scheitern
Von Modaira Rubio (Caracas) und Volker Hermsdorf
Der laufende Putschversuch gegen Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro geht am heutigen Mittwoch in seine dritte Woche. Trotz der großen Unterstützung, die er durch die USA und deren Verbündete sowie mehrere europäische Regierungen genießt, verfügt der selbsternannte »Übergangspräsident« Juan Guaidó nach wie vor über keine reale Macht in dem Land. Und seine Anhänger verlieren die Geduld. Nachdem er für den 12. Februar zu einer weiteren Demonstration aufgerufen hat, schrieb eine Oppositionelle auf Twitter, sie sei es leid, immer wieder lesen zu müssen, wie viele Länder schon Guaidó anerkannt haben: »Mir erscheint es absurd, weiter zu Demonstrationen aufzurufen.«
Doch Guaidó ist offenkundig nicht mehr als eine zeitweilig nützliche Marionette, der den USA den Weg für eine Militärintervention unter dem Deckmantel »humanitärer Hilfe« öffnen sollte. Am Wochenende hatte die Opposition jubelnd einen unmittelbar bevorstehenden Einmarsch nordamerikanischer Truppen angekündigt. Die venezolanische Armee machte jedoch deutlich, dass sie nicht bereit ist, eine Verletzung des Staatsgebiets widerstandslos hinzunehmen.
Zudem ist es Maduro gelungen, alle Gruppen um sich zu scharen, die eine ausländische Militärintervention ablehnen. Dazu gehören auch zahlreiche Gegner oder Kritiker seiner Regierung. Selbst gemäßigte Teile der Opposition rücken inzwischen von dem Putschversuch ab. Der Sozialdemokrat Henri Falcón, der bei den Wahlen im vergangenen Jahr gegen Maduro angetreten war, und der Christdemokrat Eduardo Fernández wiesen darauf hin, dass auch sie Guaidó nicht gewählt hätten.
Am Montag fand in der kanadischen Hauptstadt Ottawa eine »Dringlichkeitssitzung« der »Lima-Gruppe« statt, die von 14 rechten und konservativen Regierungen des Kontinents gebildet worden war, um Druck auf Caracas auszuüben. US-Außenminister Michael Pompeo wurde per Video zugeschaltet, obwohl Washington kein Mitglied der Gruppe ist. Das Ergebnis der Sitzung war ein schüchternes Kommuniqué, in dem Venezuelas Streitkräfte ein weiteres Mal aufgerufen werden, den »Übergangspräsidenten« Guaidó als Oberkommandierenden anzuerkennen und den Transport von Hilfsgütern nicht zu behindern. Zugleich heißt es in dem Statement, die Staaten unterstützten »einen friedlichen Übergangsprozess durch politische und diplomatische Maßnahmen ohne den Einsatz von Gewalt«. Zudem soll am 14. Februar in Washington eine »internationale Geberkonferenz« zu Venezuela stattfinden.
Kritische Nachfragen von Journalisten waren in Ottawa unerwünscht. Zu einer Pressekonferenz von Kanadas Außenministerin Chrystia Freeland waren der lateinamerikanische Fernsehsender Telesur und die russische Nachrichtenagentur Sputnik nicht zugelassen worden. »Diejenigen, die von Freiheit sprechen, demonstrieren, wie sehr sie diese missachten«, kommentierte das Telesur-Chefin Patricia Villegas. Trotzdem kam es während der Pressekonferenz zu Protesten. Aktivisten hielten Schilder mit der Aufschrift »Hände weg von Venezuela« in die Höhe. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro wies die Stellungnahme der »Lima-Gruppe« als »widerlich und lächerlich« zurück. »Man weiß nicht, ob man lachen oder kotzen soll«, sagte er am Montag in Caracas.
Am morgigen Donnerstag soll in Montevideo erstmals die auf Initiative der EU gegründete Kontaktgruppe zusammenkommen. Auch wenn Brüssel betont, dass man nicht als »Vermittler« auftreten wolle, ist das Ziel der Gruppe, eine friedliche Lösung für die Krise in Venezuela zu finden und eine ausländische Intervention zu verhindern. Das entspricht auch der Intention Mexikos und Uruguays, die dazu eine internationale Konferenz vorgeschlagen hatten. Doch für ein greifbares Ergebnis ist es für die beteiligten Staaten unumgänglich, mit der rechtmäßigen Regierung Venezuelas zu verhandeln, die über die tatsächliche Kontrolle des Landes verfügt. Für Guaidó bleibt da wenig Platz. Julio Borges, der für die Rechtspartei Primero Justicia (PJ) im venezolanischen Parlament sitzt und von Guaidó zu seinem »diplomatischen Vertreter« bei der »Lima-Gruppe« ernannt worden war, kritisierte die Arbeit der Kontaktgruppe bereits als Versuch, Maduro Luft zu verschaffen.
Tatsächlich ist es jedoch Guaidó, der infolge der internationalen Beratungen schneller als gedacht wieder von der politischen Bühne verschwinden könnte. Zudem droht ihm der Unmut der eigenen Anhänger. Nachdem sie große Erwartungen geweckt hatte, kündigte Venezuelas Opposition inzwischen an, dass höchstens 250.000 »besonders Bedürftige« auf Hilfspakete hoffen könnten. Die »Lima-Gruppe« hat angekündigt, 40 Millionen US-Dollar für »humanitäre Hilfe« zur Verfügung zu stellen, die deutsche Bundesregierung will fünf Millionen Euro beisteuern. Das aber sind Krümel verglichen mit den Summen, die Venezuelas Regierung für die Versorgung der Bevölkerung aufwendet. Im aktuellen Staatshaushalt sind rund drei Milliarden Dollar für Sozialleistungen vorgesehen, unter anderem für das Bildungswesen, die Rentenzahlungen für fünf Millionen Menschen, Hilfszahlungen für sechs Millionen Familien sowie für die Verteilung der Lebensmittelpakete der Lokalkomitees für Versorgung und Produktion (CLAP).
Im benachbarten Kolumbien wird derweil gefragt, wer sich um die Notleidenden im eigenen Land kümmert. So warnte das Nationale Gesundheitsinstitut, dass im nordöstlich gelegenen La Guajira alle 33 Stunden ein Kind an den Folgen von Unterernährung stirbt.