Chomsky, Pilger und 70 weitere fordern in offenem Brief ein Ende der US-Intervention in Venezuela Kein Regime Change in Caracas
John Pilger, Noam Chomsky, Phyllis Bennis, Boots Riley, Vijay Prashad und viele weitere Stimmen der kritischen Öffentlichkeit haben sich zusammengeschlossen, um in einer gemeinsamen Erklärung den US-Interventionismus in Venezuela anzuprangern und sich für eine friedliche auf Dialog gründende Lösung der Krise im Land einzusetzen.
Im Folgenden der Wortlaut der Erklärung (von Jakob Reimann für JusticeNow! übersetzt):
Die Regierung der Vereinigten Staaten muss aufhören, mit der Absicht, die Regierung Venezuelas stürzen zu wollen, in die Innenpolitik des Landes einzugreifen. Die Maßnahmen der Trump-Regierung und ihrer Verbündeten in der Hemisphäre werden die Situation in Venezuela mit Sicherheit nur verschlimmern und zu unnötigem menschlichem Leid, Gewalt und Instabilität führen.
Die Polarisierung in Venezuelas Politik ist nichts Neues – schon lange ist das Land entlang ethnischer und sozioökonomischer Bruchlinien tief gespalten. Doch die Polarisierung hat sich in den letzten Jahren verstärkt. Dies ist zum Teil auf die Unterstützung der USA für eine Oppositionsstrategie zurückzuführen, die einzig darauf abzielt, die Regierung von Nicolás Maduro fernab der Wahlurne zu beseitigen. Während die Opposition bezüglich dieser Strategie gespalten war, unterstützten die USA hartgesinnte oppositionelle Fraktionen bei ihrem Ziel, die Maduro-Regierung durch oft gewalttätige Proteste, einen Militärputsch oder andere undemokratische Wege zu Fall zu bringen.
Unter der Trump-Regierung erreichte die aggressive Rhetorik gegen die venezolanische Regierung ein extremes und bedrohliches Ausmaß: Vertreter der Trump-Administration sprachen von „Militäreinsätzen“ und verurteilten Venezuela zusammen mit Kuba und Nicaragua als Teil einer „Troika der Tyrannei“.
Probleme, die sich aus der Politik der venezolanischen Regierung ergaben, wurden durch US-amerikanische Wirtschaftssanktionen verschärft, die unter den Rahmenbedingungen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der Vereinten Nationen illegal waren – ebenso unter US-amerikanischem Recht und anderen internationalen Verträgen und Übereinkommen. Diese Sanktionen schnitten die Mittel ab, mit denen die venezolanische Regierung ihrer wirtschaftlichen Rezession hätte entkommen können, während sie weiterhin einen dramatischen Rückgang der Ölproduktion zur Folge hatten und die Wirtschaftskrise weiter verschlimmerten. Viele Menschen starben, weil sie keinen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten haben. Unterdessen beschuldigen die USA und andere Regierungen – einzig und allein – die venezolanische Regierung für den wirtschaftlichen Schaden, selbst für jenen, der durch die US-Sanktionen verursacht wurde.
Jetzt haben die USA und ihre Verbündeten, darunter der Generalsekretär der OAS, Luis Almagro, und Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro Venezuela an den Abgrund gedrängt. Durch die Anerkennung des Präsidenten der Nationalversammlung Juan Guaido als Venezuelas neuen Präsidenten – ebenfalls illegal unter der OAS-Charta – hat die Trump-Regierung die politische Krise Venezuelas eskaliert, in der Hoffnung, das venezolanische Militär zu spalten und die Bevölkerung weiter zu polarisieren und so zu zwingen, sich für eine Seite zu entscheiden. Das offensichtliche und gelegentlich artikulierte Ziel ist es, Maduro durch einen Staatsstreich aus dem Amt zu jagen.
Die Realität ist, dass Venezuela trotz Hyperinflation, Engpässen und einer einschneidenden Depression ein politisch polarisiertes Land bleibt. Die USA und ihre Verbündeten müssen aufhören, die Gewalt zu befördern, indem sie auf einen per Gewalt erzwungenen, unrechtmäßigen Regime Change drängen. Wenn die Trump-Regierung und ihre Verbündeten in Venezuela ihren rücksichtslosen Kurs fortsetzen, wird das wahrscheinlichste Ergebnis Blutvergießen, Chaos und Instabilität sein. Die USA hätten aus ihren Regime-Change-Eskapaden im Irak, Syrien, Libyen sowie ihrer langen, gewalttätigen Geschichte der Regime Changes in Lateinamerika etwas lernen sollen.
Keine Seite in Venezuela kann die andere einfach besiegen. Das Militär hat beispielsweise mindestens 235.000 aktive Mitglieder und mindestens 1,6 Millionen Milizionäre. Viele dieser Menschen werden nicht nur auf der Grundlage eines in Lateinamerika weit verbreiteten Glaubens an die nationale Souveränität kämpfen – angesichts einer zunehmend als von den USA angeführt wahrgenommenen Intervention –, sondern auch, um sich vor einer möglichen Repression zu schützen, sollte die Opposition die Regierung mit Gewalt stürzen.
In solchen Situationen ist die einzige Lösung eine auf Verhandlungen gründende Einigung – wie es in lateinamerikanischen Ländern in der Vergangenheit der Fall war, als politisch polarisierte Gesellschaften ihre Differenzen nicht durch Wahlen lösen konnten. Es gab derartige Anstrengungen, wie zum Beispiel die vom Vatikan im Herbst 2016 geführten, die großes Potenzial hatten. Doch erhielten sie keine Unterstützung von Washington und seinen Verbündeten, die stets dem Regime Change anhingen. Diese Strategie muss sich ändern, soll es eine praktikable Lösung für die anhaltende Krise in Venezuela geben.
Im Interesse des venezolanischen Volkes, der Region und des Prinzips der nationalen Souveränität sollten diese internationalen Akteure stattdessen Verhandlungen zwischen der venezolanischen Regierung und ihren Gegnern unterstützen, die es dem Land ermöglichen, endlich aus seiner politischen und wirtschaftlichen Krise herauszutreten.
Unterzeichnende des offenen Briefs:
http://justicenow.de/2019-01-26/chomsky-pilger-und-70-weitere-fordern-in-offenem-brief-ein-ende-der-us-intervention-in-venezuela/