Die Vizepräsidentin des cubanischen Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP) beim Netzwerk Cuba
Aus Anlass der Teilnahme an der Fiesta Cubana am 28.7.2018 in Berlin, organisiert von Cuba Sí, weilte die neue Vizepräsidentin des ICAP, Noemí Ramona Rabaza Fernández in Berlin, wo der Vorstand und die Mitglieder des Netzwerk Cuba e.V. die Gelegenheit hatten, einen ausführlichen Austausch über aktuelle Fragen in Cuba und Lateinamerika mit ihr zu führen. Es nahmen daran auch Vertreter der schweizerischen und österreichischen Solibewegungen teil. Auch die Sekretärin der cubanischen Botschaft, Lisset González López beteiligte sich aktiv an der Diskussion.
Ein breites Themenspektrum wurde angesprochen und diskutiert.
Wirtschaft: verschärfte Auswirkungen der US-Blockade, Druck auf bislang etablierte Märkte wie z.B. die Geschäftsbeziehungen zu Kanada, insbesondere im Bereich der Lebensmittelversorgung, aber auch Abschluss neuer Vereinbarungen mit z.B. China, Vietnam, und mit der Europäischen Union. Angespannte Benzinsituation mit erheblichen Einschränkungen (z.B. bekommen die staatlichen Einrichungen/Betriebe 35% weniger Brenn/Treibstoffe).
Politik: Der neue cubanische Präsident Miguel Díaz-Carnel Bermúdez stellt sich in die Kontinuität der bisherigen Commandantes und Staatsführung von Fidel, Che und Raúl Castro, verändert aber den Arbeitsstil im Hinblick auf höhere Effizienz und Transparenz. Die Umsetzung der „Lineamientos“, der Richtlinien für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung wird konkreter. Ein Drittel der nun bestätigten Minister haben neu ihre Aufgaben übernommen,
Ein großes Projekt ist dabei die Erarbeitung einer neuen Verfassung, die die alte von 1976 wegen veränderter Bedingungen ablösen soll. In den nächsten drei Monaten soll der nun vorliegende Entwurf intensiv in der ganzen Bevölkerung diskutiert und dann im Rahmen eines Referendums verabschiedet werden. Unter anderem soll die Existenz der Cuentapropistas, der Arbeit auf eigene Rechnung, verfassungsrechtlich abgesichert werden, wobei das staatliche Eigentum an den hauptsächlichen Produktionsmitteln garantiert bleibt.
Andere Bestimmungen betreffen die Organisation der staatlichen Institutionen, auch zur Steigerung der Effizienz und zur stärkeren Beteiligung der kommunalen Ebene.
In Diskussion ist auch das Familienrecht, das womöglich die gleichgeschlechtliche Ehe ermöglichen wird.
Leitgedanke ist dabei immer die Fortsetzung der Revolution, die sozialistische Entwicklung des Landes zum Wohle der Bevölkerung, wie sie in der Conceptualización, dem Konzept der sozialistischen Entwicklung, beschlossen wurde. Dieses programmatische Dokument sollte hierzulande breiter zur Kenntnis genommen werden, weil hier die zentralen Kriterien für den weiteren sozialistischen Weg entwickelt wurden vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen und den Ideen des Marxismus/Leninismus, von José Martí, Fidel und anderen und bei Beibehaltung der führenden Rolle der Kommunistischen Partei Cubas.
Ein weiteres Thema war die gestiegene Aggressivität des Imperiums und ihrer neoliberalen Partner, die in Lateinamerika verstärkt die Fortschritte linker Regierungen und Bewegungen (Venezuela, Nicaragua, Brasilien…) zurückdrehen möchte mit allen Formen der traditionellen, aber auch der unkonventionellen Kriegsführung, wobei kaum noch auf demokratische Spielregeln Rücksicht genommen wird.
Es werden finanzielle Mittel in bisher nicht gekannter Höhe für die Diversion und ideologische Beeinflussung ausgegeben, die mehr denn je die Einheit und den verstärkten gemeinsamen Kampf der fortschrittlichen Regierungen und Kräfte in Lateinamerika, aber auch die Unterstützung und Solidarität aus Europa erfordern. Dies wurde ganz deutlich beim Forum Sao Paulo, das im Juli in Havanna stattgefunden hat und wo eine Erklärung und ein Aktionsprogramm veröffentlicht wurden. Dort wurde erneut sichtbar gemacht: das Beispiel des Gastgebers Cuba zeigt: eine andere Welt ist möglich, es ist auch unsere Aufgabe hier, dies immer wieder nachvollziehbar zu machen.
Auch die Angriffe auf Cuba selbst nehmen zu; sei es die Intensivierung der Blockade, sei es die Behinderung der Visumsvergabe an CubanerInnen für individuelle Reisen, aber auch zu internationalen Kongressen und Begegnungen, wo den offiziellen Vertretern der cubanischen Zivilgesellschaft von außen bestimmte und finanzierte Vertreter einer „anderen Zivilgesellschaft“ (also Regimegegner) entgegengestellt werden.
Die Vielfalt der Angriffe und versuchten Einflussnahmen, u.a. durch die Vergabe von Stipendien in den USA und Europa an junge Menschen und Journalisten, erfordern einen hohen cubanischen Schutzaufwand, eine „Bürokratie“, die auf der anderen Seite auch begründet ist in der Verhinderung von interner Korruption und illegitimer Bereicherung. Dabei will man sich stärker auf eine „Informatisierung“ (Digitalisierung) der Gesellschaft stützen, die hier nicht im Sinne einer kapitalistischen Manipulation, sondern zur Erreichung einer gerechten sozialistischen Entwicklung dient.
Die verschärfte ideologische Auseinandersetzung erfordert auch eine Stärkung der zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der UJC (kommunistischer Jugendverband) und der FEU (Verband der Studenten), aber auch der Gewerkschaften, in denen auch 90 % der Cuentapropistas organisiert sind. Die Zulassung von marktwirtschaftlichen Elementen innerhalb der sozialistischen Gesellschaft zur besseren Entwicklung der Produktivkräfte erfordert neue Herangehensweisen, die teilweise erst erprobt werden müssen, z.B. welchen Beitrag die Cuentapropistas für die lokale Entwicklung erbringen können, wie die Verknüpfung mit dem staatlichen Sektor gestaltet werden kann.
Es waren sehr ertragreiche Gespräche, wir danken allen Beteiligten, insbesondere der Dolmetscherin Inken (von der FBK). Noemi wird während ihres Aufenthalts in der BRD an weiteren Veranstaltungen in Stuttgart und Frankfurt/Main teilnehmen.
1.8.2018 Angelika Becker
Im Bild von links nach rechts: Noemí Ramona Rabaza Fernández, ICAP-Vizepräsidentin; Angelika Becker, Vorsitzende des Netzwerk Cuba (Foto: Edgar Göll)