Angst und Häme statt Humanität?
Bedenkliche Reaktionen auf die katastrophalen Schäden durch Wirbelsturm Irma auf Kuba.
Auf den Artikel «Die Insel der Geretteten» gab es reichlich Reaktionen aus dem Publikum. Vor allem, als am Montagmittag unserer Zeit die kubanische Regierung bekannt gab, dass es, entgegen ersten Angaben, doch zu mindestens zehn Todesfällen auf der Insel gekommen sei.
Wie immer wurde jeder einzelne Fall detailliert mit Namensangabe erklärt. Alleine drei Kubaner starben, weil sie sich trotz Aufforderung weigerten, ihr Haus zu verlassen. Zwei wurden durch Stromschläge getötet, einer dadurch, dass er noch im letzten Moment die Antenne von seinem Dach entfernen wollte. Eine 89-Jährige ist ertrunken, zwei Kubaner, die in einem Lastwagen unterwegs waren, durch einen herabfallenden Balkon erschlagen usw.
Es ist offenkundig, dass vor allem in Havanna die Macht des Wirbelsturms Irma unterschätzt wurde. Teile der hinter der Uferpromenade Malecón gelegenen Altstadt standen mehr als hüfthoch unter Wasser. Betroffen ist auch das grösste Spital Kubas, das direkt hinter dem Malecón liegt.
Realitätsferne Ankündigung
Der Wirbelsturm klebte viele Stunden ohne grosse Bewegung an der Nordostküste Kubas, mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 256 Kilometern pro Stunde, und verursachte Wellen von bis zu sieben Metern Höhe. Ausgerechnet über den vielen dort vorgelagerten Inseln, auf denen sich ein gewichtiger Teil der touristischen Infrastruktur Kubas befindet.
Etwas realitätsfern mutet da die Ankündigung des kubanischen Staatschefs Raúl Castro an, dass man mit vereinten Kräften diese Installationen bis zum Beginn der touristischen Hauptsaison im November wieder aufbauen werde. Er fügte hinzu: «Die Revolution wird niemanden obdachlos lassen, und es wurden bereits Massnahmen ergriffen, dass keine kubanische Familie ihrem Schicksal überlassen bleibt.»
Die Schäden an Infrastruktur, Gebäuden und Landwirtschaft sind noch nicht abschätzbar, dürften aber in die Hunderte von Millionen Franken gehen. Alle 16 kubanischen Provinzen, mit der Ausnahme von Pinar del Río, sind stark betroffen. Tausende von Kubanern haben ihre Häuser verloren, Millionen sind ohne Strom- und Wasserversorgung. Strassen müssen wieder instand gestellt werden, es beginnt das grosse Aufräumen.
Aber mit welchem Geld soll der Wiederaufbau finanziert werden? Kuba ist im Ausland hoch verschuldet, der grösste Financier der letzten Jahre, Venezuela, steckt selbst in gravierenden Nöten. Nennenswerte Exportprodukte existieren nicht, Tourismus ist die zweitgrösste Deviseneinnahmequelle, nach den Überweisungen von Exilkubanern. Zudem übertrifft das Ausmass der aktuellen Schäden die Verheerungen bei Weitem, die letztes Jahr der Hurrikan Matthew anrichtete. Eine Katastrophe, eine Tragödie.
Umso befremdlicher sind hämische Leserreaktionen, die mich erreichten, da ich mit Wissensstand Sonntagabend schrieb, es sei «bislang kein einziger Verlust eines Menschenlebens zu beklagen». Von «Zaubern kann eben auch der Geist von Fidel nicht» über «Fake-News» bis zu Nicht-Zitierbarem. Während sich grosse Teile der Medien jeder umgefallenen Palme in Florida widmen, wird das kubanische Desaster, das nun nichts mit Ideologie oder Sozialismus zu tun hat, weitgehend ignoriert. Nicht zuletzt dank der US-Handelsblockade ist die Insel von internationalen Hilfsmassnahmen fast völlig ausgeschlossen.
«Keine Zahlungen nach Kuba»
Wer in der Schweiz Geld nach Kuba spenden will, erlebt bei fast allen Schweizer Banken sein blaues Wunder: Überweisungen, auch innerhalb der Schweiz, werden nicht ausgeführt, wenn in ihrem Betreff auch nur das Wort Kuba auftaucht. Obwohl sie, ausgenommen in US-Dollar, erlaubt sind. Zu gross ist die Angst Schweizer Banken nach dem Steuerstreit, selbst mit völlig legalen Transaktionen das Missfallen der USA zu erregen. Die Medienstelle der Credit Suisse teilte auf Anfrage mit: «Wir gehen nicht auf Einzelfälle ein.»
Die ZKB antwortete, dass die «Abklärungen» länger als 24 Stunden dauern. Die UBS, dass Zahlungen nach Kuba nicht ausgeführt werden, aber «innerhalb der Schweiz zugunsten anerkannter Internationaler Organisationen, beispielsweise der Caritas, grundsätzlich möglich sind». Raiffeisen erwiderte, dass «keine Zahlungen nach Kuba ausgeführt werden» und bei Spendenzahlungen in der Schweiz «eine Einzelfallbeurteilung stattfindet».
Direkte Anrufe als Kunde ergaben aber, dass UBS und ZKB keine Überweisungen nach Kuba ausführen, auch innerhalb der Schweiz nicht, wenn im Zahlungsbetreff «Kuba» steht. Bei der CS erfordern sie «nähere Abklärung» und würden «individuell entschieden». Allerdings kündigte die CS der Zewo-zertifizierten Schweizer Kinderhilfsorganisation Zunzún (politisch und konfessionell unabhängig und neutral) ihr Spendenkonto und führt auch keine Überweisungen auf deren neues Schweizer Konto aus. Raiffeisen Zürich hingegen gibt an, Zahlungen uneingeschränkt zu tätigen. Was für ein Durcheinander. Schweizer Hilfswerke wie Caritas bemühen sich, Kuba Hilfe zukommen zu lassen. Andere, wie die Glückskette, Heks oder Solidar Suisse, nicht. Das Schweizerische Rote Kreuz steht zumindest in Kontakt mit dem kubanischen. Solidaritäts- oder Hilfsorganisationen wie die Vereinigung Schweiz Kuba oder Camaquito haben sich zur Postfinance geflüchtet, die problemlos Überweisungen ausführt. Allerdings können sie nur von einem Postcheck-Konto aus veranlasst oder per Einzahlungsschein am Schalter getätigt werden.
Naturkatastrophen wie der Wirbelsturm Irma sind ideologiefrei. Wenn Häme und Angst vor dem langen Arm der USA wichtiger werden als Humanität, wird das Elend, das auf Kuba angerichtet wurde, durch eine menschliche Katastrophe ergänzt. (Basler Zeitung)
Erstellt: 14.09.2017, 10:16 Uhr
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