Wahlgesetz – Wie wird in Kuba gewählt?
Am 21. Oktober 2012 begann in Kuba die Wahlperiode 2012/2013. Rund 8,6 Millionen Wahlberechtigte gaben an diesem Tag ihre Stimme für die 168 Kommunalvertretungen (Asamblea Municipal) ab. Die Provinzparlamente (Asamblea Provincial) und die Nationalversammlung (Asamblea Nacional) wurden am 3. Februar 2013 gewählt.
Diese Wahlen waren die ersten nach dem 6. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) im April 2011, auf dem zahlreiche Maßnahmen vor allem für die Ökonomie des Landes beschlossen wurden. Die Zusammensetzung der neuen Asamblea Nacional spiegelt auch die gegenwärtigen Veränderungen im Land wider: Der Altersdurchschnitt liegt bei 48 Jahren. Rund zwei Drittel der gewählten Abgeordneten haben noch keine parlamentarische Erfahrung in der Nationalversammlung. Die konstituierende Sitzung des obersten Parlamentes muss laut Wahlgesetz innerhalb einer Frist von 45 Tagen abgehalten werden. Als Termin ist in der Regel der 24. Februar vorgesehen – in der kubanischen Geschichte ein historisches Datum: An diesem Tag begannen im Jahr 1895 in mehreren Orten der Provinz Oriente die Kämpfe für die Unabhängigkeit des Landes. Auf der konstituierenden Sitzung wählen die rund 610 Abgeordneten aus ihren Reihen z.B. den Parlamentspräsidenten, das Präsidium und die Mitglieder des Staatsrates.
Nach westlichem Muster?
Das kubanische Wahlsystem unterscheidet sich grundlegend von den Wahlsystemen anderer Länder. Und als souveränes Land beschließt Kuba seine Gesetze ohne Einmischung von außen. Nur werden diese Tatsachen von der kapitalistischen Welt nicht akzeptiert. Im Fall Kuba wird das besonders deutlich beim Wahlgesetz: Immer wieder fordern Politiker und Medien für das sozialistische Land „freie Wahlen“ mit einem „Mehrparteiensystem“ nach westlichem Vorbild. Natürlich wird diese Forderung mit klangvollen Worten garniert: Pluralismus, Entscheidungsfreiheit, demokratische Zivilgesellschaft… Kuba wird vorgeworfen, sein „Einparteiensystem“ sei keine Demokratie; Begriffe wie „Diktatur“ oder „Castro-Regime“ gehören zum Standardrepertoire der meisten Journalisten.
Die Wahlsysteme anderer Länder – auch in den „westlichen Demokratien“ – weisen zum Teil erhebliche Unterschiede auf. Niemand aber würde z.B. auf die Idee kommen, von den USA zu fordern, das System der Wahlmänner abzuschaffen oder endlich den Zwang für die Bürger aufzuheben, sich in ein Wahlregister eintragen zu müssen, um überhaupt wählen zu dürfen.
Nehmen wir als Beispiel Deutschland: Die beiden „großen Volksparteien“ haben jeweils weniger als eine halbe Million Mitglieder. Rechnet man alle Menschen in unserem Land zusammen, die in einer Partei organisiert sind – einschließlich in den kleinen und kleinsten –, kommt man auf eine Zahl von rund 1,41 Millionen (Stand April 2012). Das sind 1,72 Prozent (!) der Gesamtbevölkerung (82 Mio.) oder 2,27 Prozent der Wahlberechtigten (62,2 Mio.). Diese Bevölkerungsminderheit kann sich zur Wahl stellen und bestimmt die Politik in unserem Land! Ein kurioser Vergleich: Allein der Deutsche Fußballbund hat fast fünfmal so viele Mitglieder (6,8 Mio.) wie alle Parteien zusammen.
Dazu kommt eine zunehmende Politikverdrossenheit, die sich auch in einer niedrigen Wahlbeteiligung ausdrückt: Die 70,8 Prozent bei den Bundestagswahlen 2009 waren der niedrigste Wert in der Geschichte der Bundesrepublik. Bei Landtagswahlen liegt die Beteiligung noch deutlich darunter (z.B. in Berlin 2011: 60,2%, Sachsen-Anhalt 2011: 52,2%, Niedersachsen 2013: 57,1%). Bei den letzten Europawahlen (2009) schafften nur vier Bundesländer bei der Wahlbeteiligung den Sprung über die 50- Prozent-Marke, in Brandenburg gingen gar nur 26,9 Prozent an die Wahlurnen.
Ist es das, was die „westlichen Demokratien“ anderen Ländern überstülpen wollen?
Das kubanische Wahlsystem
In Kuba treten bei Wahlen keine Parteien an, sondern Personen. Somit kann auch die Kommunistische Partei nicht auf dem Wahlzettel angekreuzt werden. Den Wahlen voraus gehen breit angelegte Diskussionsprozesse in der Bevölkerung. Das Motto lautet: „Nominar a los mejores y más capaces“ („Die Besten und Fähigsten nominieren“). Deshalb gibt es auch keine Geld und Material verschlingenden Wahlkämpfe. Die Wahlbeteiligung ist hoch (Kommunalwahl am 21. Oktober: 94,21%).
Die Delegierten für die Kommunalvertretungen (Delegados) werden alle zweieinhalb Jahre gewählt, die Abgeordneten für die Provinzparlamente und die Nationalversammlung (Diputados) alle fünf Jahre. Kubaner dürfen mit Vollendung des 16. Lebensjahres wählen. 2012/2013 haben rund 200 000 Jungwähler erstmalig ihre Stimme abgegeben.
Laut Wahlgesetz ist jeder Kubaner, der seit zwei Jahren in Kuba wohnt, wahlberechtigt. Eine Wahlpflicht besteht nicht. Auch müssen die Kandidaten weder Mitglied der PCC sein – wie oft behauptet wird – noch irgendeiner anderen Organisation angehören. Die Bürger können am Wahltag die Stimmabgabe in den Wahllokalen verfolgen und auch Beschwerden bei den zuständigen Organen einreichen.
Jeder Kubaner, der seit fünf Jahren seinen Wohnsitz in Kuba hat, kann sich zur Wahl stellen. Auf kommunaler Ebene werden die Kandidaten auf Versammlungen in den Wahlkreisen vorgeschlagen und gewählt. Die Bürger müssen sich zwischen verschiedenen Kandidaten entscheiden können – in keiner dieser Versammlungen darf nur ein einziger Kandidat antreten. Im Herbst 2012 gab es rund 51000 solcher Versammlungen. Für die 14500 Sitze in den Kommunalvertretungen bewarben sich über 32000 Kandidaten.
Für die Wahlen zu den Provinzparlamenten und zur Nationalversammlung werden Kandidaturausschüsse gebildet, die sich aus Vertretern der Gewerkschaften, des Frauenverbandes, der Vereinigung der Kleinbauern, der Studentenverbände und der Komitees zur Verteidigung der Revolution zusammen – setzen. Sie schlagen Kandidaten aus den von ihnen repräsentierten Organisationen und – bis zu 50 Prozent – aus den kommunalen Vertretungen vor. Die Anzahl der Vorschläge muss mindestens doppelt so hoch sein wie die Zahl der Abgeordneten, die dann pro Bezirk gewählt werden. Die Kandidaturausschüsse müssen die Vorschläge den kommunalen Vertretungen vorlegen; hier erfolgt dann auch die letztendliche Nominierung.
Bei den Wahlen muss der Kandidat dann mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhalten, um das Amt eines Abgeordneten antreten zu können. Die Arbeit in den Parlamenten ist ehrenamtlich. Die gewählten Abgeordneten sind ihren Wählern rechenschaftspflichtig; werden sie den Anforderungen an ihre Aufgabe nicht gerecht oder erfüllen sie nicht die Erwartungen ihrer Wähler, können sie zu jeder Zeit abgewählt werden.
Jedes Land entscheidet selbst über seine Wahlgesetze, und natürlich kann man auch das kubanische Wahlsystem nicht anderen Ländern verordnen. Aber die Idee mit dem Abwählen, die ist klasse.
Jörg Rückmann
Cuba Sí revista · Nr. 1/2013